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66 Imperium, Nation und Katholizismus
2.1.2 Ungarn als Imperium der magyarischen Elite
Ungarn verfolgte einen anderen Weg: jenen einer imperialen, hegemo-
nial konzipierten Nation.39 Das ungarische Modell, das nur eine einzige
Nation anerkannte, entsprach daher vielmehr der zeitgenössischen Ten-
denz der anderen europäischen Imperien und Staaten, die sich ebenso nati-
onal / nationalstaatlich konzipierten. Ungarn stellte insofern ein typisches
Beispiel eines nationalisierenden Imperiums dar.40 Nach dem Ausgleich
von 1867 setzte Ungarn in seiner Reichshälfte die Zentralisierung fort, die
die ungarisch-magyarische Elite zuvor noch gegenüber Wien abgelehnt
hatte.41
Ungarn entwickelte sich in einem imperialen Rahmen immer mehr zu
einem Nationalstaat. In diesem Sinne lässt sich der ungarische Weg als
»imperial nation« beschreiben: Diese gestaltet sich im Rahmen eines Impe-
riums im Interesse einer Nation.42 Im Gegensatz zu Österreich verstand sich
Ungarn – trotz der anders anmutenden demographischen Lage43 – als säku-
lar-liberaler Nationalstaat, in dem nur eine Nation, die ungarische, als poli-
tisches Kollektiv anerkannt wurde. Alle anderen Nationalitäten hatten zwar
individuelle Rechte etwa im Sprach- oder Schulbereich, aber sie wurden als
Teil der ungarischen Nation begriffen.44 Obwohl die ungarische Staatsidee
ursprünglich ebenso supranational konzipiert war (mit dem Konzept der
»Länder der Stephanskrone«), entwickelte sich der ungarische Staat immer
39 Zur Herausbildung der ethnozentrischen ungarisch-magyarischen Nationsidee aus
der mittelalterlichen-frühneuzeitlichen, supranationalen ungarischen Nation siehe
u. a. Tofik M. Islamov, From Natio Hungarica to Hungarian Nation, in: Richard
L. Rudolph / David F. Good (Hg.), Nationalism and Empire. The Habsburg Empire
and the Soviet Union, New York 1992, S. 159–183.
40 Leonhard / Hirschhausen, Empires und Nationalstaaten, S. 13.
41 Osterkamp, Föderale Schwebelage, S. 206.
42 Zur »imperial nation« siehe Stefan Berger / Alexei Miller, Building Nations in
and with Empires – A Reassesment, in: Dies. (Hg.), Nationalizing Empires, S. 1–30,
hier S. 4.
43 Bis 1900 stellten die Nationalitäten die absolute Mehrheit in der ungarischen Reichs-
hälfte dar. Nur infolge der jüdischen Assimilation konnte die Zahl der Ungarn (d.h.
derjenigen, die das Ungarische als ihre Muttersprache angaben) im Jahre 1900 eine
knappe absolute Mehrheit in Ungarn (ohne Kroatien-Slawonien) erreichen. Ohne
Kroatien-Slawonien machten die Ungarn im Jahre 1900 51.4 % und im Jahre 1910
54.1 % der Gesamtbevölkerung aus; Daten von 1900 und 1910 aus: Magyar Királyi
Központi Statisztikai Hivatal (Hg.), A Magyar Szent Korona Országainak 1910. évi
népszámlálása. Első rész: A népesség főbb adatai községek és népesebb puszták, tele-
pek szerint [Die Volkszählung der Länder der Ungarischen Heiligen Krone im Jahre
1910. Erster Teil: Die Hauptdaten der Bevölkerung in den Gemeinden, bevölkerungs-
reicheren Puszten, Siedlungen], Budapest 1912, S. 6.
44 Gerald Stourzh, The Multinational Empire Revisited. Reflections on Late Imperial
Austria, in: Austrian History Yearbook 23 (1992), S. 1–22, hier S. 14.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303