Page - 212 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
Image of the Page - 212 -
Text of the Page - 212 -
212 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
(dem sog. »Corpus Separatum«) stellte Drenova somit ein dörfliches Milieu
dar, das eher dem istrianischen und kroatischen, ländlichen Hinterland
als der multikulturellen Hafenstadt (und den zwei anderen, urbanisierten
Untergemeinden) ähnlich war.
Im Folgenden geht es darum, zuerst den Kirchenstreit in Drenova zu
rekonstruieren, der bis jetzt in der Forschung noch nie von der mikroge-
schichtlichen Ebene her dargestellt worden ist (4.2.2).166 In einem zweiten
Schritt wird die mediale Rezeption des Falles im Kontext der bestehenden
national- und kirchenpolitischen Frontlinien analysiert: Dabei werden
einerseits die Interpretationsstrategien der verschiedenen Blätter untersucht
(4.2.3), andererseits werden die Konfliktfelder (altslawische Liturgiesprache,
Bistumsfrage) geschildert, die in Fiume / Rijeka die Wahrnehmung kirchli-
cher Angelegenheiten bestimmten (4.2.4).
4.2.2 Konfliktgeschichte:
Abwehr kirchlicher Einmischungen
Drenova bekam die Konsequenzen des Konfliktes zu spüren, der seit Lan-
gem zwischen der italienischsprachigen, liberalen Stadtführung und der
kroatischsprachigen Kirchenhierarchie bestand. Die selbstständige Dorf-
pfarrei in Drenova hatte deswegen keinen eigenen Pfarrer, weil sich die Stadt
Fiume / Rijeka
– die die Herrschaftsrechte über die Dorfkirche ausübte
– mit
dem Bistum Senj auf keinen Pfarrer einigen konnte. Nachdem der frühere
Dorfpfarrer, Fabiano Sirola, pensioniert worden war,167 lehnte die Stadt die
ihr vorgestellten Pfarrerkandidaten konsequent ab, weil sie
– wie der autono-
mistische Bürgermeister Francesco Vio beteuerte – »politische Agitatoren«
und »hart gegenüber den Bürgern von Fiume« seien.168 Die Ernennung eines
166 Der Kirchenstreit in Drenova wurde bis jetzt nur bei Andreas Gottsmann kurz
im Kontext der diplomatischen Korrespondenz zwischen Wien / Budapest und
dem Hl. Stuhl erwähnt, vgl. Gottsmann, Rom und die nationalen Katholizis-
men, S. 113f.
167 Mit Fabiano Sirola waren die ungarischen und italienischen politischen Akteure
zufrieden, weil er die Pfarrei – wie ihn der ungarische Parlamentsabgeordnete,
Tivadar von Batthyány, 1911 im ungarischen Landtag lobte – nicht im Sinne
»anti-ungarischer und anti-italienischer, kroatischer Propaganda« geführt hätte,
Batthyány bemerkte dabei, dass »die Situation [in Drenova und Fiume / Rijeka]
damals noch aushaltbar war«. Siehe Rede von Tivadar von Batthyány im ungari-
schen Landtag (Országgyűlés), am 5. April 1911, in: Az 1910. évi június hó 21-ére
hirdetett Országgyűlés Képviselőházának Naplója. Hatodik Kötet [Protokolle des
für den 21. Juni 1910 berufenen Abgeordnetenhauses des Landtages. Sechster Bd.],
Budapest 1911, S. 468 [übersetzt aus dem Ungarischen von mir].
168 Brief des Bürgermeisters Vio an den ungarischen Ministerpräsidenten Wekerle
back to the
book Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914"
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303