Page - 96 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
Image of the Page - 96 -
Text of the Page - 96 -
96 Österreichisches Küstenland
3.1.2 Konfliktgeschichten: Angegriffene Priester,
zerstrittene Kirchengemeinden
Als Bischof Giovanni Battista Flapp an einem Sonntag Ende Oktober 1896
die Kirche der westistrianischen Ortschaft Visinada / Vižinada verließ,
erschallten Rufe unter den versammelten Menschen. Einige riefen dem italie-
nischsprachigen Bischof italienisches »Evviva« oder kroatisches »Živio«, also
»Lebe hoch« zu. Nicht weniger Menschen waren allerdings gegen den Bischof
und schrien beleidigende Sprüche wie etwa »Morte ai Croati«, also »Tod den
Kroaten«.37 Der Bischof von Pola / Pula und Parenzo / Poreč war auf einer
Reise durch sein Bistum, er wollte mehrere Kirchengemeinden aufsuchen. In
Visinada / Vižinada war er zur Firmung mehrerer Kinder eingeladen.
Die antikroatischen Rufe würden einen Nationalitätenkonflikt nahele-
gen. Im Ort gaben die meisten Menschen das Italienische als ihre Umgangs-
sprache an: Im Jahre 1900 lebten 2.231 Menschen in Visinada / Vižinada,
wovon 2.138 italienisch-, 89 kroatisch- und nur 2 slowenischsprachig waren.
Im Gerichtsbezirk, zu dem auch die ländliche Umgebung gehörte, war der
Anteil der kroatischsprachigen Einwohner höher, wenn auch ebenso in der
Minderheit: Von 3.978 Menschen waren 3.043 italienisch-, 866 kroatisch-
und 61 slowenischsprachig.38 Die zwei »Welten« trafen in der Kirche von
Visinada / Vižinada aufeinander. Das dortige Kirchenleben war insofern
von einer ethnisch-sprachlichen und sozialen Vielfalt geprägt: In den Kir-
chenbänken saßen die kroatisch- oder slowenischsprachigen Bauern neben
den italienischsprachigen Bürgern. Der soziale und kulturelle Unterschied
ließ sich in nationale Gegensätze übersetzen. Nationalsprachliche »Identitä-
ten« waren aber in Istrien nicht klar zu trennen: Alle Bewohner hatten Bio-
graphien, Familiengeschichten, in denen sich mehrere ethnische Elemente
bzw. unterschiedliche Sprachen mischten. Viele italienischsprachige Bürger
hatten etwa südslawische Familiennamen,39 und die Mehrsprachigkeit war
sehr verbreitet.40
37 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Parenzo / Poreč (22. Oktober 1896), in:
AST, Luogotenenza, AP, b. 190, fasc. 4.2.1., 1896/2123.
38 Daten aus: K. K. Statistische Zentralkommission (Hg.), Gemeindelexikon der im
Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder. Bearbeitet auf Grund der Ergeb-
nisse der Volkszählung vom 31.
Dezember 1900, Wien 1906, Bd.
VII: Österreichisch-
Illyrisches Küstenland (Triest, Görz und Gradiska, Istrien), S. 76.
39 D’ Alessio, Croatian Urban Life and Political Sociability in Istria, S. 136.
40 Ders., Dall’ Impero d’ Austria al Regno d’ Italia. Lingua, stato e nazionalizzazione
[Vom Kaiserreich Österreich bis zum Königreich Italien. Sprache, Staat und Natio-
nalisierung], in: Lorenzo Bertucelli / Mila Orlić (Hg.), Una storia balcanica. Fas-
cismo, comunismo e nazionalismo nella Jugoslavia del Novecento [Eine balkanische
Geschichte. Faschismus, Kommunismus und Nationalismus im Jugoslawien des
20. Jahrhunderts], Verona 2008, S. 31–71, hier S. 31.
back to the
book Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914"
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303