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Entwicklung ist die Expansion des Wissenschaftsbetriebs zu nennen, also der
Gesamtheit spezifischer, mit der Produktion und Anwendung wissenschaftlicher
Erkenntnis beschäftigter Einrichtungen und Akteure in einem nationalen Kontext.
Durch den Ausbau staatlicher Regulations- und Steuerungsmaßnahmen im 20.
Jahrhundert erfuhren Wissenschaften einen großen Bedeutungszuwachs. Das geht
mit einem komplexer werdenden Zusammenwirken des Wissenschaftsbetriebs
mit anderen gesellschaftlichen Teilbereichen einher. Bestimmend für die Expan-
sion sind daher nicht allein WissenschaftlerInnen, sondern auch Akteursgruppen
aus Politik, Wirtschaft und Militär.
Die zweite Entwicklung ist das Streben nach Autonomie. Unter Autonomie-
streben können wir das Fernhalten wissenschaftsexterner Einflüsse auf Entschei-
dungsprozesse zur Gestaltung des wissenschaftlichen Feldes verstehen. In einer
Zeit, da der nationale Wissenschaftsbetrieb expandiert und der Einfluss von exter-
nen Akteuren steigt, kommt der Autonomie eine neue und neuartige Bedeutung
zu. Entscheidungsprozesse im Wissenschaftsbetrieb werden zu dessen Effizienz-
steigerung und zur Aufrechterhaltung der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit
formalisiert und nachvollziehbarer. Zugleich dient das diskursive Argument der
Autonomiewahrung aber auch einem Ausverhandeln von Handlungsspielräu-
men. Als Zentralbegriff wissenschaftspolitischer Auseinandersetzungen unterliegt
Autonomie unterschiedlichen Verständnisweisen.
Die Internationalisierung der Wissenschaften ist, als dritte Entwicklung, nicht
von der weltpolitischen Konstellation des 20. Jahrhunderts zu trennen. Nach 1945
diffundieren insbesondere in den USA etablierte Formen des Wissenschaftsbe-
triebs in die Welt. In unserem Zusammenhang werden insbesondere die Wissen-
schaftsbereiche der Social Sciences und der American Studies eine wichtige Rolle
spielen.21 Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich als ganz besonders abhän-
gig von gesellschaftlichen Trends, politischer Einflussnahme und wirtschaftlicher
Verwertbarkeit erwiesen haben.
Die skizzierten drei Entwicklungen sorgten im österreichischen Wissenschafts-
betrieb für Dynamik und Konflikte. Ausgetragen wurden sie unter anderem im
Rahmen der Implementierung und Durchführung des Fulbright Program. Die
besondere Stellung des Fulbright Program ist dabei in dreierlei Hinsicht gege-
ben: (1) Als komplexes wissenschaftsorganisatorisches Geflecht mit der USEC/A
als intermediärer Organisation vor Ort war das Programm ein Prototyp, der sich
vom Rest des damaligen Wissenschaftsbetriebs deutlich unterschied. (2) Das Pro-
gramm basierte auf Entscheidungen, die nach wissenschaftsinternen Regeln zu
treffen waren. Der damit einhergehende hohe Grad an Formalisierung und Pro-
fessionalisierung setzte auf ein neues Verständnis institutionalisierter Autonomie.
(3) Zuletzt betrieb das Programm den binationalen WissenschaftlerInnenaus-
tausch in einem bis dahin ungeahnt großen Ausmaß und mit einer bemerkens-
werten Schwerpunktsetzung. Als spezifisches Instrument amerikanischer Foreign
Policy war es Teil der Internationalisierung der Wissenschaften; als ein Angebot
zur Erweiterung des eigenen begrenzten Handlungsspielraums stellte es aus Sicht
der österreichischen Akteure im Wissenschaftsbetrieb eine (zuweilen gefährliche)
Verlockung dar.
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Untertitel
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Autor
- Thomas König
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Abmessungen
- 15.8 x 23.9 cm
- Seiten
- 190
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117