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48 anderen aber auch als skrupellos: So scheute etwa Richard Meister, der Protagonist
des Autonomiebegriffs, nicht davor zurück, sich als „Opfer“ des Nationalsozialis-
mus zu bezeichnen, obwohl er ab den 1920er Jahren durchgehend entscheidende
Funktionen an der Universität Wien übernommen hatte (Benetka 1998, 191).19
Das traf auch auf einige Mitglieder der Fulbright Commission zu. Ähnliches
Selbstmitleid wie Meister brachte Alfred Verdroß-Droßberg (1952, 208) auf, der –
nach einer kurzen Phase der Beurlaubung im Sommer 1938 – von den nationalso-
zialistischen Behörden wieder als Professor installiert worden war. Davon abgese-
hen, dass Verdroß-Droßberg der nationalsozialistischen Rechtsidee in den 1930er
Jahren durchaus aufgeschlossen gegenüberstand (Carty 1995, 80ff), besaß das
neue Regime nach erster Skepsis auch genügend Vertrauen, um ihn mit Ämtern
zu betrauen.20 Als einzigen Beweis für sein Opfer konnte er nach Kriegsende daher
anführen, dass ihm ein mehrfach gestellter Antrag auf Erhöhung seines Gehalts
abgelehnt worden war.21
Auch der Mediziner Tassilo Antoine ging selbstgerecht mit seiner Vergangen-
heit um: Nicht nur hatte er zumindest indirekt von der Dynamik profitiert, die sich
durch die nationalsozialistische Machtergreifung ab 1938 entwickelte – er wurde
1940 als Professor nach Innsbruck berufen, kam dann 1943 wieder nach Wien –, er
war auch Parteimitglied der NSDAP gewesen (Arias 2005, 76), ein Umstand, den
er er in einer Erhebung im Mai 1945 zumindest beschönigte.22 Für Wilhelm Mari-
nelli wurde 1942 eine „Planstelle eines ausserordentlichen Professors“ geschaffen;
da er bereits 1940 eingezogen worden war, konnte er seine Professur de facto erst
nach 1945 antreten.23 Ein offenbar nie besonders auffälliger Wissenschaftler, der in
Zeiten knapper Stellen 20 Jahre lang als Assistent ausgeharrt hatte,24 politisch nach
allen Seiten hin unverdächtig war25 und der den Großteil seines beruflichen Lebens
entweder an der Universität Wien oder im Krieg verbracht hatte,26 war nach 1945
der ideale Kandidat für die zahlreichen repräsentativen und Entscheidungsgre-
mien.
Als Mitglieder der Kollegien waren die ProfessorInnen darauf verwiesen, trotz
allerlei unterschiedlicher Meinungen wissenschaftlicher, politischer und sonstiger
Natur im fakultären Entscheidungsgremium zusammenzuarbeiten. Die Profes-
sorenkollegien waren die ständisch organisierten und dezentralen Machtzentren
der Hochschulen und darüber hinaus des wissenschaftlichen Feldes. Ständisch
organisiert waren sie, weil in ihnen alle (ab 1955 auch außerordentliche) Professo-
ren unter weitgehendem Ausschluss anderer Gruppen an den Hochschulen auto-
matisch vertreten und entscheidungsbefugt waren. Dezentral waren sie, weil sie
unterhalb des Daches ihrer Hochschule linear nebeneinander angesiedelt waren.
Und Machtzentren waren sie, weil ihnen in wesentlichen Belangen autonome Ent-
scheidungs- und Rechtsbefugnisse zukamen.27
Das Resultat war ein professoraler Korpsgeist, der über die Wahrnehmung rei-
ner Gruppeninteressen hinausging, weil zugleich die unterschiedlichen Interessen
innerhalb der Gruppe auszubalancieren waren. Weil es aber nicht gelungen war,
die Vergangenheit im Prozess der Entnazifizierung mit gegebener Offenheit zu
behandeln (und im Gegenteil eher Selbstbetrug einkehrte), ließ die Diskussions-
kultur zwischen den formal Gleichgestellten zu wünschen übrig. Deshalb, und
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Untertitel
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Autor
- Thomas König
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Abmessungen
- 15.8 x 23.9 cm
- Seiten
- 190
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117