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„Es wird […] dringend gebeten dafür zu sorgen, daß die Vortragenden
aus solchen Fächern, die an mehreren Hochschulen einer Stadt vertreten
sind (z. B. Chemie an der Universität und der Techn.Hochschule Wien,
ebenso in Graz) in so großen Hörsälen sprechen, daß die Interessierten
des gesamten Faches den Vortrag besuchen können; für Chemie in Wien
wäre z. B. hierfür ein Saal mit mindestens 400 Sitzen nötig. Auch wäre sehr
wünschenswert, wenn ein Vortragender aus einem Fache, das in mehreren
Hochschulstädten vertreten ist, möglichst in mehreren Städten spricht.“35
Diese Art der Vorträge bot kaum Raum für eingehende Diskussionen etwa über
Gegenstand, theoretische Fragen, wissenschaftspolitische Auseinandersetzungen
oder methodologische Probleme. Zwar wäre es möglich, dass neben den Gastvor-
trägen noch diskussionsintensivere Veranstaltungen wie Seminare stattgefunden
haben könnten. Ohne solche Veranstaltungen in Einzelfällen ausschließen zu wol-
len, ist ihre Existenz weder belegt noch angesichts der an anderer Stelle oftmals
beklagten Unzugänglichkeit österreichischer Professoren und ihrer Assistenten
und Studierenden36 besonders wahrscheinlich.
Wir dürfen also davon ausgehen, dass die Wirkung der wissenschaftlichen
Gäste aus Großbritannien an österreichische Universitäten gering war, zumindest
wenn es um die Transferierung von Know-how und Theorieanwendung ging. Wie
aus der überaus geringen Realisierungsquote der eingeladenen Gäste ersichtlich,
ist auch die organisatorische Effizienz des Programms eher als niedrig zu veran-
schlagen: Die verfügbaren Ressourcen wurden nicht als Bedarfsstellen definiert.
Stattdessen wurden Personennennungen vorgenommen.37 Die daraus resultie-
renden Wunschlisten wurden von zwei kooperierenden staatlichen Stellen admi-
nistriert, wodurch wissenschaftsexterne Gründe bei der endgültige Auswahl zum
Tragen kommen konnten. Zuletzt war das Auswahlverfahren intransparent und
konnte Wunschvorgaben nicht umzusetzen.
Angesichts der Beziehungsstruktur von Ministerium und Universität, der
Komplexität der bürokratischen Abwicklung von Ein- und Ausreise in (dem bis
1955 noch besetzten) Österreich und der zuvor festgestellten großen Anzahl von
Gastvorträgen im Verhältnis zu Gastprofessuren und Gastvorlesungen war das
hier skizzierte Verfahren des britisch-österreichischen Austauschs wohl typisch
für die damalige Vorgehensweise bei binationalen Austauschprogrammen. Die
(vor dem Staatsvertrag) in außenpolitischen Fragen unsichere Stellung Öster-
reichs war dabei der vom Ministerium gepflogenen Verfahrensweise sicher
zuträglich. Trotz mangelnder Effizienz und mangelnder Wirkkraft galten Pro-
gramme wie das des British Council als erfolgreich: Die Funktion dieser Art von
Austausch lag aufseiten der beteiligten Professorenkollegien vor allem darin,
gegenseitig durch ritualisierte Handlungen das eigene bzw. das Fakultätsrenom-
mee zu erhöhen, und aufseiten der beteiligten staatlichen Einrichtungen darin,
einen binationalen Kulturaustausch als Repräsentationsakt zu realisieren. Es ist
kein Wunder, dass in den Debatten über die US-amerikanischen Gastprofesso-
ren immer wieder auf das britisch-österreichische Austauschverfahren verwiesen
wurde.
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Untertitel
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Autor
- Thomas König
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Abmessungen
- 15.8 x 23.9 cm
- Seiten
- 190
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117