Seite - 108 - in Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich - Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
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108 „The students are […] intensely interested in life and in America, and they
respond hungrily to the warmth of personal interest which they do not feel
in Austrian higher education. Their intensively culturally-centered second-
ary school work has left them almost totally blank in the social sciences.“28
Das Fulbright Program weckte die Neugierde der Studierenden und versprach
eine neue Perspektive auf gesellschaftliche Verhältnisse. Aktuelle wissenschaftliche
Literatur aus den USA, die die Grantees mitbrachten,29 sowie Publikationen der
eigenen Forschung während des Aufenthalts und die Kooperation mit den Wissen-
schaftlerInnen vor Ort waren weitere Bestandteile des kollektiven Wissenstrans-
fers. Zweifellos war die wissenschaftliche Aufbereitung gesellschaftlicher Aspekte
Nachkriegsösterreichs nach neuesten Erkenntnissen und Methoden eine Aufgabe,
der sich vor allem die SozialwissenschaftlerInnen unter den US-Research Scho-
lars verpflichtet fühlten. Hier fanden auch bahnbrechende Publikationen über die
Zweite Republik statt, die freilich in der wissenschaftlichen Zunft hierzulande oft-
mals unbemerkt blieben.30
Letzteres hatte seine Ursache auch in einem Problem, das die US-Research
Scholars mit vielen Visiting Lecturers teilten: Sie wurden von ihren österreichi-
schen KollegInnen nach eigenem Empfinden nur ungenügend in Kooperationen
eingebunden.31 Hier trat ein Spezifikum der damaligen Personalstruktur an den
österreichischen Hochschulen zutage: Die arrivierten, dem amerikanischen Wis-
senschaftsangebot oft kritisch gegenüberstehenden ProfessorInnen, deren akade-
mische Sozialisation in der Regel noch unter einem der totalitären Regime vor
1945 stattgefunden hatte, waren bis in die 1960er Jahre in den Professorenkolle-
gien dominant (König 2011). Eine jüngere Generation von AkteurInnen stand
zwar bereit und nahm etwa auch das Angebot des Programms in Anspruch, in die
USA zu gehen;32 doch oftmals waren an den heimischen Hochschulen keine ent-
sprechenden Stellen vorhanden.
Gleichwohl zeigt die Analyse der US-Grantees, dass Nester intensiver Koopera-
tionsbeziehungen entstanden. Das war dort der Fall, wo zielstrebiges Personal auf
den Ausbau seines wissenschaftlichen Arbeits- und Ressourcenfeldes hinarbeitete.
So war Hubert Rohracher, Professor für Psychologie an der Universität Wien, sehr
um seine amerikanischen Gäste bemüht, wie der Fall von Michael Erdelyi zeigt.33
Ähnlich war es in der Geographie an der Universität Wien, wo sich durch den
frühen Tod der beiden Nestoren in den frühen 1950er Jahren eine Chance für jün-
gere VertreterInnen des Faches ergab (Fassmann 2005, 283ff), wovon das Fach und
wohl auch die Geographen unter des US-Visiting Lecturers profitierten.
Die amerikanischen VertreterInnen der Soziologie, Politikwissenschaft,
Geschichtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft fühlten sich dagegen meis-
tens allein gelassen. Zum Teil ist die Ignoranz ihrer österreichischen Fachkolleg-
Innen erklärbar. Im Fall der Politikwissenschaft vereinnahmten die dominanten
Rechtswissenschaftler die neue Disziplin kühn (Adamovich 1950) bzw. blockier-
ten ihre eigenständige Etablierung (König 2010b). Erst am Ende des Untersu-
chungszeitraums kam personell und institutionell Bewegung in die Geschichts-
wissenschaften, die neue Impulse zugelassen hätte (Heiß 1996; 2005b; Rathkolb
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Untertitel
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Autor
- Thomas König
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Abmessungen
- 15.8 x 23.9 cm
- Seiten
- 190
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117