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war das neue Abkommen Gegenstand eines Kompetenzgerangels, in dem die ÖVP
als Platzhirsch mit der in der Kultur- und Wissenschaftspolitik zunehmend for-
scher auftretenden SPÖ, dem kleinen Koalitionspartner, erst umzugehen lernen
musste. Aus österreichischer Sicht waren die USA zudem nach wie vor in einer
Bringschuld. Bundesminister Drimmel machte das anlässlich der Verlängerung
des Programms 1960 in seiner Festansprache deutlich:
„Es galt bisher als ein selbstverständlicher Grundsatz im politischen Ver-
kehr – und zwar nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft – dass jeder
der Partner etwas gibt, um dafür etwas zu erhalten. Dieser Grundsatz des
Römischen Rechts, DO UT DES, ich gebe, damit du gebest, ist anständig,
gesund und vernünftig […] Es gibt aber auch ein anderes Gesetz als das
DO UT DES. Es lautet DO UT VIVAS. Ich gebe, damit du lebest, weil wir
zusammen leben müssen, und zusammen die Wohltaten der Freizeit und
der Sicherheit, beides im geistigen wie im materiellen Sinne verstanden,
genießen können.“4
Der von Drimmel formulierte Gedanke wirfte einige Fragen auf. Können wir dem
Bundesminister unterstellen, dass er die von ihm postulierte Bringschuld der USA
nicht nur an der bescheidenen Gegenwart des Kleinstaats, sondern auch an der
Vergangenheit, als auf österreichischem Boden gegen den amerikanischen Libe-
ralismus gerichtete autoritäre Regime herrschten, festmachte? War die keck for-
mulierte Forderung im Kontext des Kalten Krieges eine unverfrorene Variante des
Austestens, wer eigentlich mehr auf den anderen angewiesen war – Österreich auf
die Supermacht oder die USA oder die kleine Republik am Rande des Eisernen
Vorhangs? Oder waren Drimmels Ausführungen bloßer Schein – um sich (und
seine WählerInnenschaft) mit dem unabänderlichen Faktum zu versöhnen, dass
eben diese Supermacht am Ende bekam, was sie wollte, egal was ein intellektuel-
ler Konservativer, als der sich Drimmel gern stilisierte, darüber dachte? War sein
forsches Auftreten ein innerkoalitionäres Signal gegenüber der erstarkenden SPÖ,
dass er seine Positionen nicht aufzugeben gedachte?5
In den USA fanden nach der Wahl Kennedys zum Präsidenten eine umfassende
Neuorientierung der Außenpolitik (Latham 2000, 23ff) und eine Reform der kul-
turdiplomatischen Programme statt, die 1963 in den Fulbright-Hays-Act mündete
(Bu 2003, 233ff). Vor diesem Hintergrund machten sich die amerikanischen Dip-
lomaten im Department of State die seit einigen Jahren dauernden Verhandlungen
zur Überleitung der ERP-Kredite in die Hände der österreichischen Bundesregie-
rung (Bischof/Kofler 2004, 209) zunutze. Dabei handelte es sich immerhin um elf
Milliarden Schilling, und die österreichische Regierung wollte darüber verfügen.
Es lag nahe, die Zustimmung zum ERP-Gesetz von weiteren kulturdiplomatischen
Initiativen in Österreich abhängig zu machen – und insbesondere dem Programm
zur Etablierung von Lehrkanzeln für American Studies, das wir in Kapitel 6 ken-
nengelernt haben. Von dem Gespräch des Kulturattachés Michael Barjansky mit
Beamten des Unterrichtsministeriums ist folgender Abschnitt protokolliert:
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Untertitel
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Autor
- Thomas König
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Abmessungen
- 15.8 x 23.9 cm
- Seiten
- 190
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117