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VI,
drei oder vier Tagen war der erste Att, beinahe
^ch lief damit sogleich >^i 3chrei>vogel, um eo
ihni vorzulesen. Er war im höchsten Grade be-
doch ja fortzufahren, Ebensoschncll entstanden
der zweite uud dritte Att, Noch erinnere ich
mich, daß ich an der großen Szene, wo Iaromir
^,ll,cn zur Flucht beredet, von fünf Uhr
i-iorgeno bis fünf Ul'r nbcuds geschrieben habe,
olnie ^iul,epiinti und ohne etwas zu mir zu
nelm,en Meine Mutter klopfte zur Zeit des
.! nüsnickcs und des Mittagsmahles vergebens
an die Türe, Erst abends ging ich Iiervor,
machte einen Spazicrgang über die Baste, nnd
aß zur Nacht mein Mittagmahl,
2a fiel plötzlich kaltes Wetter ein, und es
war, als ob mir alle Gedanken vergangen wären.
Ich schlich ganz traurig zu Schrehvogcl und
nicht ginge, Er meinte aber, es werde fchon
wieder kommen. Und fo geschah es auch. Nach
ich das Stück mit derselben Raschheit, mit der
eö begonnen war. In nicht mehr als füufzehn
oder sechzehn Tagen habe ich es geschrieben,
Cs wurde nun Schreyvogel übergeben, da»
mit er über die Ausführbarkeit entscheiden möge,
ich ihn beträchtlich abgekühlt, Schrcyvogel war
ein vortrefflicher Kopf, in gehörigem Abstände
allerdings eine Art Lessing, Nur hatte er außer
der logischen Schärfe mit" seinem Vorbilde auch
als ein Erzeugnis aufquellender eigener An«
ichanungen waren. Er wußte nun nicht recht,
wohin er mein Mondkalb anreihen sollte, nnd
war ängstlich, nicht als ob er den Gespeusterspnt
oder die sogenannte SchicksalZidce verworfen
!>atte, er verlangte vielmehr, daß letztere mehr
herausgebildet werden sollte, namentlich der
ganz unberülnt gebliebene Umstand, daß das
jetzt lebende Geschlecht geradezu die Frucht der
^umv der Ahufrau sei. Als ich mich darein
nicht finden wollte, erbot er fich sogar, mein
Stück zn überarbeiten, es sollte dann als unser
gemeinschaftliches Werk erscheinen,
Tagegen protestierte ich; es sollte entweder
gar nicht aufgeführt werde», oder als mir an-
gchürig,
«chrehvogel hatte bereits mit den Schau-
spielern gefprochen, denen er die Rollen zuge-
dacht batte, Madame Schröder wählte bloß
uom Hörensagen das Stück zu ihrer Einnahme
nnd für sich die Rolle der Berlha und des Ge-
s rennen,
ieur, der den Iaroinir geben sollte, bc-
fimne mich in meiner Wohnung in dem soge-
nannten „Elend", wo er dann erstanut war,
den Lichter am Schreibtische in dein Nolnlelm
> '>! seines Vaters sitzen zu sehen, auf welchem
:e!mfi„I)le, wcu das Rohr dnrchgefeffeu war, durn! cm quer darüber gelegtes Viett ein neuer
Sitz improvisiert war.
In diefcm Getümmel verlor ich ganz den
Überblick, Ich machte die verlangten Ände-
rungen, durch welche mein Stück nicht besser
wnrde, zum Teil anch darum, weil ich sie nur
äußerlich anfügte, Ich habe sogleich nach der
Aufführung bemerkt, daß durch diese „tiefere
Begründung" mein Stück ans einem Gespenster-
Märchen, mit einer bedeutenden, menschliche»
in der Werner uud Müllncr damals sich beweg-
ten. Bei den späteren Auflagen wollte ich auch
geradezu auf mein urfprüngliches Manuskript
zurückgehen, Ta ich aber bei der zweiten Redal-
manchcs in der Mttion und sonstigen Anord-
nung geändert hatte, welches alles mit Rück-
blick auf jene Erweiterung der Ideen geschah,
so hätte es einer dritten Überarbeitung bedurft,
was mir viel zu langweilig war. Jenes ur»
Nuu kamen die äußeren Verlegenheiten, die,
wenn fie mir nicht von andern abgenommen
mein Stück zurückzuziehen. Es wnrde bei der
Zenfiir eingereicht und Verbuten, Vurch die
ikunne^,ionen der Schauspielerin Madame Schrö«
Wort mitreden durfte, wurde es erlaubt. Es
ist aber nach dieser ersten Vorstclluug zum
zweiten Male verboten worden, Ta tritt denn
der pensionierte Hofschanspicler Lange, der den
zu seiner Einnahme geben wollte, in die
Tchranlcu, nnd mit seiner Rührung als tragi-
scher Vater brachte er die Erlaubnis auch für
tümcr des Theaters an der Wien, Graf Palfsy,
mit utilitarifchcn Grüudeu und erklärte, wenn
man ihm die Stücke, die Geld eintrügen, ver-
biet?, müsse er sein Theater zuschließen, NaZ
wirkte, und Varrabas ward freigegeben.
Ich habe den Ereigniffeu vorgegriffen uud
kehre zurück, Tie Schauspieler wareu vou ihren
Hoffchaufpielcrin Madame Schröder und des
pensionierten hofschausftielers Lauge, die Gast-
so aufzuführen, wie es wohl anf keiner deutschen
Bühne wieder gegeben worden ist. Es wnrde
darum auch dem Theater an der Wien der Vor-
Erscheinen vor dem Publikum gcgebeu,
NaZ alles geschah ohne mein ^ntnii, ja bei-
der Tag der ersten Vorstellung s3I., Jänner
1817). Meinen Namen anf den Zettel drucken
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik