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heiinblasen („ausblasen"). Die Verrechnung der Festauslagen obliegt den Hüttenbnrschen.
Außer dem Trinkgelde für das „Einladengeheu" zu Mittag und dem Hütten- oder Eintritts-
gelde der Tänzer wird um Retz (z. B. in Jetzelsdorf) der Ertrag eines Hazardspieles
zur Deckung des „Robisch" * verwendet, welches man „Schulern" nennt und, weil verboten,
abseits in einem Winkel spielt. Am Nachkirchtage, der entweder unmittelbar auf das
Hauptfest — „den Herreukirchtag" — folgt oder am nächsten Sonntag darauf gefeiert
wird, findet kein solenner Gottesdienst statt, auch werden keine Gäste mehr aus der Ferne
geladen. Im V. U. W. W., z. B. im Marchfelde, dauert die Kirchtagsfeier meist zwei
Tage, im V. U. M. B., z. B. um Laa, auch drei Tage und es wird hier überdies noch
am darauffolgenden Sonntag ein Nachkirchtag gehalten. Hier und da, z. B. um Retz, ist
es Brauch, den Kirchtag, wenn er zu Ende ist, „einzugraben". Ein vermummter Bursche
weiut über einige vor ihm liegende zerschlagene Flaschen und zerfetzte Fähnlein, die
Musikanten stimmen dazu Trauerweisen an. Vergleicht man mit der hier gegebenen
Schilderung, welche sich übrigens vielfach auf Hauptzüge beschränkt, das Bild eines Kirch-
tags im V. O. W. W., so erscheint dieses nahezu bedeutungslos. Man hält wohl einen
Festgottesdienst, kauft in den Krämerbuden allerlei, meist nützliche Sachen, tanzt im
Wirthshause, aber von einem Volksfeste in größerem Stile kann man nicht reden.
Im Spätherbste, ortsweise erst im Winter, wird die „Rockenstube" eröffnet und
es beginnt der „Rockensitz", im V. O. M. B. auch „Rockaroas" (Rockenreise) genannt.
In Gegenden nämlich, wo die Banerngehöste nicht vereinzelt liegen, sondern zu Weilern
und Dörfern vereinigt sind, kommen die Mädchen Nachmittags oder nach der Abend-
mahlzeit mit ihren Spinnrocken in einem Bauernhause, und zwar abwechselnd heute in
diesem, morgen in jenem zusammen und spinnen. Dabei wird fleißig geplaudert, werden
Tagesneuigkeiten besprochen, Räthsel aufgegeben und dergleichen. Die Rockenstube ist aber
auch eine wahre Heimstätte volkstümlicher Poesie, in der man die wundersamsten Sagen,
duftigsten Märlein und urwüchsigsten „Gstanz'ln" und „Liedl" hören kann. Da hängt oft
Alles am Munde der Erzählerin, so daß schließlich kein einziges Spinnrädchen mehr
in der Stube schnurrt und die Mägde von der Bäuerin ans Nachhansegehen gemahnt
werden müssen. Wo es ordentlich zugeht, darf keiu Mannsbild die Rockenstube betreten.
Dafür aber passen die Bursche den Mägdlein auf, wenn sie das Haus verlassen, und
„läuten" sie tapfer „aus". Mit Schafglocken, leeren Fässern und Spritzkrügen, auf die
man schlägt, mit Pfeifen und Gejohle producirt man ein Abschiedsconcert, das eine städtische
Katzenmusik weit hinter sich läßt. Darum suchen die Spinnerinnen, wie nur immer möglich,
unbemerkt fortzukommen. Manche Dirne jedoch verliert sich dabei nicht nngerne zu einem
Stelldichein mit dem Geliebten. Wo der Rockensitz Abends nach Tisch gehalten wird,
* Stammt aus dem Slavischen und bedeutet Kerbbolz.
Wien und Niederösterreich. 14
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich, Band 4
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich
- Band
- 4
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 17.75 x 26.17 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Schilderungen aus Niederösterreich 3
- Zur Vorgeschichte Niederösterreichs 123
- Zur Geschichte Niederösterreichs 145
- Zur Volkskunde Niederösterreichs 183
- Die Architektur in Niederösterreich 263
- Burgen und Wohnstätten in Niederösterreich 287
- Malerei und Plastik in Niederösterreich 305
- Volkswirtschaftliches Leben in Niederösterreich 317