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unmittelbar in den Himmel, denn „In den Sechswochen — Steht der Himmel offen."
Ein kleines Kind „bringt einen Wagen voll Arbeit ins Haus", aber die Mutter muß in
den Wochen gewisser, auch leichterer Arbeiten sich enthalten. Wenn sie näht, so wird das
Kind erblinden, wenn sie spinnt, so spinnt sie ihm einen Strick um den Hals. Auch andere
Vorsichtsmaßregeln soll sie nicht außer Acht lassen. Sie soll uicht zum Fenster hinausschauen,
wenn sie draußen ein Geräusch hört, denn es könnte ihr das Kindlein von einer Hexe leicht
„vertragen" werden.
So lange die Wöchnerin nicht vorgesegnet ist, soll sie nicht über die Dachtraufen
hinausgehen, weil sie sich allerlei bösen Einflüssen aussetzen würde und an Stelle des
Kindes ihr ein Wechselbalg in die Wiege gelegt werden könnte. So ein Kobold ist aber ein
gar unsauberes Geschöpf; er bleibt immer kleiu, ist buckelig und „verwachsen", hat einen
sehr großen Kopf, der freilich bei aller Häßlichkeit zugleich ein „gefcheidter Kopf" ist.
Eines weiteren wichtigen Ereignisses im Leben des heranwachsenden Kindes sei hier
kurz gedacht, es ist dies der Empfang des Sacrameutes der Firmung. Die anläßlich
desselben erwählten Patheu spenden gewöhnlich ein Gebetbnch und ein Rosenkränzchen,
reichere auch goldene oder silberne Uhren und dergleichen mehr, öfter auch eiuzelne
Kleidungsstücke oder ganze Anzüge. In bürgerlichen Kreisen gibt man gerne silberne
Eßbestecke. Für die beiden Viertel O. uud U. M. B. insbesondere ist charakteristisch, daß
daselbst fast ausschließlich ledige Firmpatheu gewählt werden. Die Firmlinge geben für
die erhaltenen Geschenke dem Pathen, wenn er heiratet, eine kleine Aussteuer, in der
Regel eiue fein geschliffene Weinflasche mit ebensolchen Trinkgläsern; sie erfreuen sich als
Junggesellen oder Ehrengäste bei der Hochzeit einer besonderen Auszeichnung.
Am Schlüsse dieses Abschnittes möge noch der Meinung des Volkes über besonders
begabte oder sonst bevorzugte Kinder kurz Erwähnung geschehen. Die allzu gescheidteu, die
„Kreuzköpfe" werdeu nicht alt. Besonderes Glück haben die „Neusonntagskinder", das
sind solche, welche an einem Sonntage geboren werden, an dem der Mond „neu wird"
und welche ihren Namen mit auf die Welt bringen, das heißt nach dem Heiligen benannt
werden, dessen Fest auf ihren Geburtstag fällt. Neusonntagskinder „sehen" mehr als
andere Sterbliche, blicken in die Zukunft, wissen um das Treibe» in der Geisterwelt,
erkennen leicht die Hexen an den rothen Ringen um die Augen, finden Schätze und haben
in allen ihren Unternehmnngeu Glück.
Ein besonders reiches, in seinen Zügen höchst mannigfaltiges Bild entrollt sich uns in
den Hochzeitsgebräuchen. Nicht nur größere Gebiete, sondern auch einzelne Ortschaften
innerhalb derselben zeigen hierin oft merkwürdige charakteristische Verschiedenheiten uud
zuweilen Eigenthümlichkeiten, welche entschieden ans sehr alter, wohl auch uoch heidnischer
Zeit stammen. Sie sollen hier in den Hanptzügen vorgeführt werden.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich, Band 4
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich
- Band
- 4
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 17.75 x 26.17 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Schilderungen aus Niederösterreich 3
- Zur Vorgeschichte Niederösterreichs 123
- Zur Geschichte Niederösterreichs 145
- Zur Volkskunde Niederösterreichs 183
- Die Architektur in Niederösterreich 263
- Burgen und Wohnstätten in Niederösterreich 287
- Malerei und Plastik in Niederösterreich 305
- Volkswirtschaftliches Leben in Niederösterreich 317