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Unzulänglichkeit der Mittel. Dieses ganz moderne Prodnet, die Umgangs-, das heißt die
dialeetisch beeinflußte, je nach dem individuellen Bildungsgrade und dem persönlichen
Wortschatze verschieden gestaltete Schriftsprache ist eben allzu verschieden von der
Mundart, einem altorganischen, historisch entwickelten Gebilde; diese zeigt sich aber an
Ausdrücken aller Art noch viel reicher als jene. Der Wortschatz der österreichischen
Mundart — alle jene Worte ausgeschlossen, die die Schriftsprache aufgenommen hat —
zählt, so weit er lexikographisch gesammelt ist, nach Zehntausenden. Dazu kommt noch
eine Fülle von Ausdrücken, zum Theile selbständig gesammelt, zum Theile aber auch
noch gar nicht beachtet, die den verschiedenen Handwerken und Beschäftigungen eigen sind.
Bezeichnungen für Pflanzen und Thiere, Körpertheile, Hausräume, Sinne, Sitten —
Alles, je häufiger der Mensch das Ding zu uenueu gewohnt ist, hat seine besonderen und
oft mannigfaltigen, oft sehr fein abgestuften Bezeichnungen. Ein Blick nach dem Speise-
zettel, der den Fremden das erstemal wohl verblüfft, kann uns da belehren, wenn wir
uns ganz geläufige Ausdrücke, wie: Schnitzel, Bries, Beuschel, Scherzel, Kruspel und
viele ähnliche, die alle Theile des Rindes bezeichnen, hochdeutsch wiederzugeben versuchen.
Dabei, wie gesagt, ein fast unübersehbarer Reichthum an Bildungen und Synonymen,
deren Ausbreitungsgebiet innerhalb der Mundart selbst sehr verschieden ist; manche Wörter
sind allenthalben üblich, andere nur auf eng umschriebenem Raume; abgeschlossene Thäler,
wie die tiefeingeschnittenen Achengebiete Salzburgs und Tirols, sind besonders reich an
selbständigem Wortschatze. Mitunter begegnen uns Ausdrücke von höchstem Alter. Die
Macht der Volksgewohnheit, der konservative Charakter des Bauers, Abgeschiedenheit vom
Weltverkehre, dabei intime Berührung innerhalb fester Grenzen sind die Factoren, die für
die Bildung des Wortschatzes maßgebend sind. So bietet die Mundart ein Bild hoher
Alterthümlichkeit; veraltete Ausdrücke, alte Fügungen, einfacher Bau blieben erhalten, die
in der Schriftsprache längst untergegangen sind. Es ist beachtenswerth, wie treu, ja zähe
das Volk an einzelnen Wendungen hält. So taucht eine uralte, vor einem Jahrtausend
schon nicht mehr geschriebene Dualform des persönlichen Fürwortes, freilich verflacht
zur Bedeutung der Mehrzahl, nach wenigstens sechshundertjähriger Bergflucht wieder
auf, nm, in der Umgangssprache der Gebildeten gemieden, im Munde des Bauers bis
heute fortzudauern, das bekannte es, enger, enk, enk. — Welche Perspective eröffnet
es, wenn wir ein der Schriftsprache fremdes, bei uns allgemein verstandenes Verbum
urasseu (mit einer Sache, besonders Speise, wählerisch, verschwenderisch gebaren) in der
gothischen Bibel des Ulfilas lesen, unverändert nach Laut und Sinn, an der Stelle, wo
vom armen Lazarus die Rede ist, wie er zu der Tafel des Prassers aufblickt! Vornehmlich
die Orts- uud Familiennamen bieten reiche Belege; oft genug ist das einst klare Wort
als heute uuverstandeue leere Bezeichnung stehen geblieben. In dieser Beziehung ist unser
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich, Band 4
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich
- Band
- 4
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 17.75 x 26.17 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Schilderungen aus Niederösterreich 3
- Zur Vorgeschichte Niederösterreichs 123
- Zur Geschichte Niederösterreichs 145
- Zur Volkskunde Niederösterreichs 183
- Die Architektur in Niederösterreich 263
- Burgen und Wohnstätten in Niederösterreich 287
- Malerei und Plastik in Niederösterreich 305
- Volkswirtschaftliches Leben in Niederösterreich 317