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tuat, mit unentschiedenem,'das heißt fast eonsonantischem, in r übergehenden Klange
des a); Neigung zur Zerdehnnng: muriug (morgen), ä solicha' (rein niederösterreichisch:
a sv ä); eine ganz merkwürdige Umformung des neutralen Pronomens: 'si regent uud
anderes. Es ist das eine räthselhafte Erscheinung; die Sonderstellung dieses Gebietes
erscheint unaufgeklärt, von fremdem Einflüsse ist keine Spur; im Gegentheile hat sich die
Redeweise dieses Stammesbruchtheils sogar ausgebreitet uud herrscht heute uoch in den
nördlichen Enclaven die alte Reichsstraße entlang bis auf die Sprachinseln um Brünn,
Über die Schranken unserer festen historischen Kenutuisse kommen wir nicht hinaus.
Wohl haben Markomannen und Quadeu dies Gebiet beherrscht, Laugobardeu uud
Gepideu es durchzogen, Rugier uud Heruler hier gehaust — aber in jene Zeiten führt keine
Spur zurück. Die ersten sicheren Anhaltspunkte gewinnen wir mit der Ausbreitung der
Slaven in den Alpen, auf die eine bedeutende Anzahl von Orts-, Fluß- uud Bergnamen
zurückgeht. Nur so viel können wir sagen, daß die baierische Mundart — obwohl gleich
ihrer fränkische» und schwäbischen Schwester ein Ast vom westgermanischen Stamme —
einzelne Eindrücke ostgermanischen Gepräges empfangen hat (so Jrta' , Erchtcr — Dienstag
und andere), wohl infolge der vielen Durchzüge, des langen Aufenthaltes, dauernder Herr-
schaft, endlich weiter Zerstreuung gothischer Stämme und Geschlechter auf diesem Gebiete.
Frageu wir nach den charakteristischen Eigenthümlichkeiten, die der Österreicher nicht
leicht ablegt, so werden wir zunächst auf das wichtige Gebiet der Betonung geführt.
Der bedeutende Unterschied zwischen Mundart uud Schriftsprache, den wir hier finden, ist
nmso auffälliger, als die Betonungsgesetze im Deutschen sonst auf das strengste beobachtet
werden und die allerwenigsten Ausnahmen zulassen.
Da ist zunächst die Verwechslung der Quant i tä ten zu beachten: im Dialeet
tritt statt der Neigung des Neuhochdeutschen, die alten Stammsilben zu verlängern, sehr
häufig die entgegengesetzte Tendenz, Verkürzung der langen Silbe, ans; dagegen werden
wieder hochdeutsche Kürzen entweder durch Diphthongisirnng oder Nasalirung verlängert:
Vo"da' (Vater), aber Müatta und Ma". Diese Verwechslungen sind besonders auffällig,
wenn der Österreicher hochdeutsch sprechen will.
Bei weitem interessanter ist das der Mundart eigene Bestreben, entgegen- dem
germanischen Grundgesetze nnd dem allgemeinen Brauche den Ton von der ersten
Si lbe gegen das Wortende zu rücken. Ob hierher die Gewohnheit gehört, gewisse
Ableitungssilben zu verdoppeln (Glaserer, Klampferer, Wilderer uud dergleichen), steht
dahin. Aber sicher fällt unter diesen Gesichtspunkt der Brauch, beim Znsammentreffen
einsilbiger Formwörter, insbesondere des Vorwortes mit dem Fürworte, den — richtig
dem ersteren zukommenden — Hochton auf das zweite zu verlegen: bei sich sein, tragen,
auf sich sehen, zu sich kommen :c. So fest wurzelt diese Gewohnheit, daß sie nicht nur
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich, Band 4
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich
- Band
- 4
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 17.75 x 26.17 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Schilderungen aus Niederösterreich 3
- Zur Vorgeschichte Niederösterreichs 123
- Zur Geschichte Niederösterreichs 145
- Zur Volkskunde Niederösterreichs 183
- Die Architektur in Niederösterreich 263
- Burgen und Wohnstätten in Niederösterreich 287
- Malerei und Plastik in Niederösterreich 305
- Volkswirtschaftliches Leben in Niederösterreich 317