Seite - 7 - in Religion, Medien und die Corona-Pandemie - Paradoxien einer Krise
Bild der Seite - 7 -
Text der Seite - 7 -
Einführung
Ende April 2020 begann an der Ludwig-Maximilians-Universität ein beson-
deres Semester. Wir saßen mit den Mitgliedern unseres Forschungssemi-
nars «Medien und Religion» unkomfortabel im frisch eingerichteten virtu-
ellen Lehr- und Lernraum. Die Computerkameras waren eingeschaltet, das
Audio auch, die Internet-Leitungen machten mehr oder weniger wacklig
mit. Wir versuchten alle, uns zu sortieren. Als Dozentinnen, als Doktorie-
rende, als Studierende mussten die Rollen neu gestaltet werden: Die Kom-
munikationssituation war ungewohnt frontal, alle erschienen in ihrem ei-
genen Zoom-Rechteck, Gesichter, die aus privaten Räumen – Büros, Kü-
chen, Schlaf- oder Wohnzimmern – au#auchten. Im Hintergrund rufende
Kinder, bellende Hunde; im Vordergrund spazierten Katzen durchs Bild.
Der Raum unseres virtuellen Seminars umfasste fast den halben Globus:
Yifan Li saß in Shanghai, Caterina Panunzio in Verona, Anna-Katharina
Höpflinger in Kyburg, Daria Pezzoli-Olgiati in Neggio – dies- beziehungs-
weise jenseits der Schweizer Alpenkette –, und die anderen Teilnehmen-
den waren auf unterschiedliche Orte in Deutschland verteilt. Je nach Ge-
gend und Richtlinien war die Erfahrung des Lockdowns mehr oder weni-
ger lang, mehr oder weniger einschränkend. Caterina hatte nur noch An-
recht auf einen Radius von 150 m für ihre Spaziergänge.
Zu Beginn der Veranstaltung tauschten wir uns darüber aus, wie es uns
ging. Jemand sagte: «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt un-
ter» – apokalyptische Befindlichkeit pur. Was für ein Einstieg in die akade-
mische Lehre!
Die Idee dieses Buches entstand als Versuch, etwas Konstruktives aus
dieser Weltende-Stimmung zu gewinnen. Anstatt den Studierenden zu er-
klären, was Forschung ist und wie sie funktioniert, entschieden wir uns,
sie direkt in ein echtes Projekt zu involvieren: Wir wollten die Krise aus
der Krise heraus – zeitgleich – beobachten. Damit verließen wir die Kom-
fortzone der Distanz zum Forschungsgegenstand, um uns mit der Frage zu
beschä#igen, was eigentlich religionswissenscha#liche Forschung in einer
apokalyptischen Stimmung leisten kann. Die Antwort darauf können wir
gleich vorwegnehmen: Im Falle unseres Projektes erlaubt das kritische
Denken und die Erforschung von ausgewählten Fallstudien, die Zeit etwas
zu entschleunigen und das, was wir in der Ausgangssperre nur noch durch
die Medien erfahren konnten, in einer dichten Beschreibung zu verarbei-
7
https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Titel
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Paradoxien einer Krise
- Autor
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Herausgeber
- Anna-Katharina Höpflinger
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 134
- Kategorien
- Coronavirus
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133