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Gemeinscha!en in Isolation
Von China über Italien bis hin zu Lateinamerika beobachtete man den
weltweiten Ausbruch der Corona-Pandemie und verfolgte die Einschrän-
kungen, die das Virus für die Gesellscha# mit sich brachte. Diese Entwick-
lungen hatten auch für religiöse Gemeinscha#en große Konsequenzen.
Wesentliche Aspekte religiöser Praxis wurden durch den Ausnahmezu-
stand auf den Kopf gestellt. Angesichts der Versammlungsverbote konnten
sakrale Räume nicht mehr für Rituale genutzt werden. Soziale Netzwerke
im Internet wurden als Alternative eingesetzt. Seit langer Zeit überlieferte
Handlungsabläufe und Liturgien mussten der Logik digitaler Medien an-
gepasst werden. Damit veränderten sich der Zugang zu den Ritualen, ihre
Bedeutungen und ihre Möglichkeit, gemeinscha#ssti#end zu wirken. Pri-
vate Räume wurden zu transitorischen, individuellen heiligen Stätten.
Die folgenden Beiträge spannen mit ihren Schwerpunkten auf China,
Europa und Lateinamerika nicht nur zwischen unterschiedlichen Orten
einen Bogen, sondern vermitteln auch zwischen verschiedenen Aspekten
und Qualitäten von Raum, von konkreten sakralen Orten religiöser Praxis
bis hin zu den sozialen Medien. Dabei werden unterschiedliche Kontraste
hervorgehoben: Während beispielsweise gut etablierte buddhistische Tem-
pel in Metropolen wie Shanghai oder römisch-katholische Kirchen in
Norditalien relativ problemlos ein attraktives Internetangebot für ihre Mit-
glieder anbieten konnten, mussten religiöse Gemeinscha#en auf dem Lan-
de mit Mitgliederverlusten ringen, weil die notwendige finanzielle und
technische Infrastruktur nicht vorhanden war.
Dort, wo es möglich war, wurden digitale Räume eingerichtet, sodass
die Rituale einigermaßen konform weitergeführt werden und die Gemein-
scha#smitglieder darin Halt und Orientierung finden konnten. Dennoch
gingen viele Dimensionen des gemeinsamen religiösen Erlebens verloren:
Die geteilte Erfahrung von Ritualen, die Einmaligkeit einer Liturgie, der
Umgang mit kostbaren Gegenständen, die körperliche und teilweise die
ästhetische Dimension religiöser Praxis können nicht auf virtuellem Weg
hergestellt werden.
Die Verschiebung von heiligen Orten in digitale Räume verändert auch
die Art und Weise der Teilnahme an Ritualen und an Tradierungsprozes-
sen religiöser Überzeugungen: Bestimmte Orte und Zeiten werden aufge-
hoben, die Angebote sind immer und überall verfügbar, können unterbro-
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Titel
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Paradoxien einer Krise
- Autor
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Herausgeber
- Anna-Katharina Höpflinger
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 134
- Kategorien
- Coronavirus
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133