Seite - 85 - in Religion, Medien und die Corona-Pandemie - Paradoxien einer Krise
Bild der Seite - 85 -
Text der Seite - 85 -
Der Tod als mediale Inszenierung
Im Januar 2020, als in den Medien von einer neuen Krankheit in China be-
richtet wurde, wusste man in Europa kaum, wo Wuhan, die Hauptstadt
der chinesischen Provinz Hubei, liegt. Nach wenigen Wochen erschien das
mysteriöse Virus in Italien, im Februar stieg die Zahl der Infizierten expo-
nentiell an und im März jene der Toten. Um die Übertragung des Virus zu
bremsen, wurde das ö!entliche Leben heruntergefahren. Die drastischen
Maßnahmen, die in den verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Zei-
ten und mit verschiedenen Regelungen getro!en wurden, stellten eine He-
rausforderung dar, an die zu Beginn des Jahres niemand je gedacht hätte.
In vielen Ländern dur#en Menschen ihre Wohnung nicht mehr verlassen,
das soziale Leben beschränkte sich auf das Einkaufen des Nötigsten, wenn
überhaupt. Die demokratischen Entscheidungsstrukturen wurden einge-
froren, und Regierungen übernahmen die Führung des Landes. Diese Um-
stellungen zielten darauf, das Virus einzudämmen und Menschenleben zu
schützen. Mit dem Risiko, zu stark zu vereinfachen, könnte man die Lage
auf eine einfache Formel reduzieren: Die pluralistische, auf ökonomisches
Wachstum und Mobilität ausgerichtete Gesellscha# wurde vom Tod blo-
ckiert.
Dabei ist der Tod die universale Erfahrung alles Lebendigen, das Thema,
das zeitgenössischen Kulturen am meisten zu scha!en macht. Der Tod ist
das Gegenprogramm jeder Form der Körperoptimierungspraktiken und
der Lebensverlängerungsmaßnahmen. Gerne wird der Tod in spezifischen
Räumen abgezäunt: Spitälern, Hospizen, Leichenhallen, Friedhöfen.
Gerade vor dem Hintergrund der Rhetorik der Säkularisierung und der
Emanzipation des Menschen aus mythologischen und religiösen Weltdeu-
tungen erscheint heute der Tod paradoxerweise als eine Dimension eines
modernen Gerichtes: Die harten Fakten der Klimaveränderungen oder der
Verbreitung eines Krankheitserregers, gegen den wir Menschen nicht im-
mun sind, werden auf der Folie der Endlichkeit menschlichen Lebens ver-
handelt.
Der Mensch ist alleine mit dem Tod konfrontiert, doch die Endlichkeit
des Lebens geht alle an. Diese Spannung zwischen individuellem und ge-
sellscha#lichem Umgang mit der Bedrohung des Lebens wird in den fol-
genden zwei Beiträgen vertie#. Auf der einen Seite wird über die Einsam-
keit des Todes von Covid-19-Patient:innen auf Intensivstationen nachge-
85
https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Titel
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Paradoxien einer Krise
- Autor
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Herausgeber
- Anna-Katharina Höpflinger
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 134
- Kategorien
- Coronavirus
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133