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3Kapitel
Trebitsch nahm ihn auf, bei feierlichem Kerzenglanz schwor Theodor einen
langen Eid, setzte er seinen Namen auf ein Blatt Papier, dessen Inhalt er kaum
gelesen hatte, seine Hand lag zwei Minuten lang in der behaarten Tatze eines
Mannes, den man Detektiv Klitsche nannte, der über einem zerschossenen
oder verkümmerten Ohrläppchen eine mangelhaft verhüllende glatte
Haarsträhne trug und der von nun an Theodors Vorgesetzter sein sollte. Nun
war Theodor Mitglied einer Organisation, einer Gemeinschaft, deren Namen
er nicht kannte, einen Buchstaben wußte er nur und eine römische Zahl, den
Buchstaben S und die Zahl II, und den Sitz dieser unbekannten Macht, der in
München war. Befehle hatte er von Klitsche zu erwarten, briefliche,
mündliche, Gehorsam unter allen Umständen war Bedingung und ebenso
Verschwiegenheit. Tod stand auf Verrat und Vernichtung auf unbedacht
gesprochenes Wort.
Es ging Theodor wider seinen Willen zu schnell und gegen die
Bedächtigkeit seines Gemüts. Er erschrak wiederum vor so viel Neuem, er
kam sich überrumpelt vor. Er fürchtete sich vor dem Kerzenglanz und den
tönenden Worten des Schwurs, der Pranke seines Vorgesetzten, und den Tod
fühlte er nahe wie ein bereits zum Verräter Gewordener und Verurteilter. Er
hatte niemals schlecht geschlafen, in der Nacht träumte er selten und, wenn es
geschah, immer nur Tröstliches. Vor dem Einschlafen pflegte er an die
schönen Bilder der Zukunft zu denken, mochte der vergangene Tag auch
keinen Anlaß dazu gegeben haben. Seit jenem Vormittag im Büro des Dr.
Trebitsch träumte er von brennenden Kerzen, gelben, im Licht eines vollen
Tages. Am gräßlichsten war die Vorstellung, daß kein Entrinnen möglich war
und daß er nicht mehr zurück konnte, zurück in die geborgene Stille einer
Hauslehrerexistenz, die Freiheit war. Welche Befehle harrten seiner? Mord
und Diebstahl und gefährliches Spionieren? Wieviel Feinde lauerten im
Dunkel der abendlichen Straßen? Schon jetzt war er nicht mehr seines Lebens
sicher.
Aber welch ein Lohn konnte ihm werden! Ich sprenge die Zeit, in der ich
gefangen bin, den sonnenlosen Kerker dieses Daseins, werfe das drückende
Joch dieser Tage ab, steige auf, zerschmettere geschlossene Pforten, ich,
Theodor Lohse, ein Gefährdeter, aber ein Gefährlicher, mehr als ein Leutnant,
mehr als ein Sieger auf trabendem Roß, zwischen grüßenden Spalieren, Retter
des Vaterlandes vielleicht. In diesen Zeiten gewinnt der Wagende.
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Buch Das Spinnennetz"
Das Spinnennetz
- Titel
- Das Spinnennetz
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1923
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 93
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92