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Das Spinnennetz
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22 Kapitel Die Nacht vor dem 2. November verbrachte Theodor mit Kameraden in einem Nachtlokal. Man hielt verschieden gefärbte Mädchen auf den Knien. Es galt, vom Leben Abschied zu nehmen. Das sagten die Offiziere den Mädchen. Der Gedanke an einen frühen Tod machte alle Mädchen wehmütig. Die Musik spielte »Die Wacht am Rhein«. Ein Gast saß da. Zwei Offiziere zerrten ihn in die Höhe. Er war dick und schwer und betrunken. Sie hielten ihn an den Schultern. Dann ließen sie ihn fallen. Er fiel unter den Tisch und blieb sitzen. Er spielte mit dem Sektkübel. Der Morgen brach grau an. Es regnete. Theodor wartete am Bahnhof auf seine Kompanie. Sie sollte um acht Uhr in der Stadt gestellt sein. Es war ein Sonntag. Die Stadt sah schläfrig aus. Es regnete. Um neun Uhr demonstrierten Arbeiter Unter den Linden. Die nationalen Jugendgruppen in Charlottenburg. Zwischen beiden waren Straßen, Häuser, Polizei. Dennoch wartete die Stadt auf einen Zusammenstoß. Um neun Uhr regnete es immer noch. Die Arbeiter gingen mitten im grauen Regen. Grau waren sie wie er. Unendlich waren sie wie er. Aus grauen Quartieren kamen sie wie er aus grauen Wolken. Sie waren wie ein Herbstregen. Unaufhörlich, unerbittlich, leise. Wehmut verbreiteten sie. Sie kamen, die Bäcker mit den blutlosen Gesichtern, die wie aus Teig waren, ohne Muskel und Kraft; die Menschen von der Drehbank mit den harten Händen und den schiefen Schultern; die Glasbläser, die nicht älter werden sollten als dreißig Jahre: kostbarer, tödlicher, glitzernder Glasstaub stach in ihren Lungen. Es kamen die Bürstenbinder mit den tiefen Augenhöhlen, den Staub der Borsten und Haare in den Poren der Haut. Es kamen die jungen Arbeiterinnen, von der Arbeit gezeichnet, mit jungen Bewegungen, verbrauchten Gesichtern. Es gingen die Tischler. Sie rochen nach Holz und Hobelspänen. Und die riesenhaften Möbelpacker, groß und überwältigend wie eichene Schränke. Es kamen die schweren Arbeiter aus den Brauereien, sie stampften wie große Baumstämme, die gehen gelernt haben; die Graveure kamen, in den Falten ihrer Gesichter den kaum sichtbaren Metallstaub; die Zeitungssetzer, die übernächtigen, die zehn Jahre und länger nicht eine ganze Nacht geschlafen hatten; sie haben gerötete Augen und blasse Wangen und sind nicht vertraut mit dem Licht des Tages. Es kommen die Pflasterer, die Straße tretend, die sie selbst gebaut haben, dennoch fremd in ihr und betäubt 69
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Das Spinnennetz
Titel
Das Spinnennetz
Autor
Joseph Roth
Datum
1923
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
93
Schlagwörter
Roman, Geschichte
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 10
  3. Kapitel 3 14
  4. Kapitel 4 17
  5. Kapitel 5 21
  6. Kapitel 6 24
  7. Kapitel 7 30
  8. Kapitel 8 32
  9. Kapitel 9 36
  10. Kapitel 10 39
  11. Kapitel 11 42
  12. Kapitel 12 44
  13. Kapitel 13 47
  14. Kapitel 14 50
  15. Kapitel 15 52
  16. Kapitel 16 54
  17. Kapitel 17 57
  18. Kapitel 18 59
  19. Kapitel 19 61
  20. Kapitel 20 64
  21. Kapitel 21 67
  22. Kapitel 22 69
  23. Kapitel 23 73
  24. Kapitel 24 76
  25. Kapitel 25 79
  26. Kapitel 26 81
  27. Kapitel 27 83
  28. Kapitel 28 86
  29. Kapitel 29 89
  30. Kapitel 30 92
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