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14
Kapitel
Geheimbefehle mahnten zur Bereitschaft für den 2. November. Theodor hatte
drei Wochen Zeit. Er schlief nicht mehr. Seinen Tag erfüllte Hast ohne Ziel.
An den Abenden hielt er Abrechnung über vergebliche Geschäftigkeit. Durch
die wachenNächte kreiste ohne Ende der planlose Entschluß: mächtig zu
werden. Die flinken Ereignisse kamen ihm zuvor, überrumpelten ihn. War er
am 2. November noch Mittel nur, nicht Führer, Glied einer Kette, nicht ihr
Anfang, zwischen den anderen und nicht über ihnen, so hatte er seinen Tag
versäumt. Dann erwartete ihn kein Glanz, sondern bescheidenes Ziel.
Mitten in seine kreisende Sorge schossen Heldenträume, klang der Ruf
seiner Sendung, hob ihn roter Jubel empor. Günther und Klitsche und
achtzehn Arbeiter waren tot, vergeblicher Erfolg acht eifervoller Monate.
Mißbrauchtes Werkzeug fremder Lust war Theodor gewesen. Wofür?
Verantwortung schuldete er nur sich selbst. Er trug sie leicht, wenn sein Ziel
erreicht war; er ging an ihr zugrunde, wenn er unterwegs blieb.
Er durfte nicht mehr innehalten. Aber er hatte sich Zeit gegeben, ein Jahr
wenigstens, noch spann er seine Fäden, noch bargen sich vor ihm Menschen
und Dinge. Man hatte ihn abseits gestellt, sein Eifer hatte ihn verraten, er
hätte bedachtsamer Wege wählen müssen. Jetzt tat er, was hundert andere
taten: Vorträge halten, Broschüren verteilen. Längst war er nicht in München
gewesen . . . wer weiß, neue Menschen führten, und der Zufall brachte einen
anderen Klitsche ans Licht.
Ein Jahr noch – und er wäre vielleicht reich, und Geld erwarb ihm alles,
wozu der Eifer nicht reichte. Aber hart vor ihm lag der 2. November. Die
Nähe des Tages verwirrte ihn, nahm seinen Entschlüssen Besonnenheit. Unter
ihm schwankte der Boden, sein Weg führte nicht mehr empor.
Halbe Tage war er unterwegs zwischen Potsdam und Berlin. In seinem
Büro las er den Einlauf, zu Trebitsch ging er. Der war ein Beispiel zielsicherer
Ruhe. Trebitsch benahm sich, als stünde er abseits. So mußten die Menschen
sein, die den 2. November schmiedeten, so harmlos und sanft. Der Vollbart
gab ihm das Aussehen des ungefährlich Würdevollen, des Menschen der Idee,
des ahnungslosen Gelehrten. Nur ein achtloses Wort verriet ihn. Er sah jede
Veränderung, wie Theodor, wenn er vor der Front seiner Kompanie stand. Er
sprach von der »anderen Methode«, die Arbeiter zu behandeln. Vielleicht
ging es in Zukunft um die Eroberung des linken Radikalismus. Die Parole
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Buch Das Spinnennetz"
Das Spinnennetz
- Titel
- Das Spinnennetz
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1923
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 93
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92