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5Kapitel
Sein Weg führte vorläufig zu der Wohnung des Malers Klaften.
Theodor hieß Friedrich Trattner und war Genosse aus Hamburg. Moderne
Bilder sah er bei Klaften, farbenrauschendeFanfaronaden, gelbe, violette, rote.
Die Augen schmerzten, wenn man sich von den Bildern abwendete, wie wenn
man in die Sonne gesehen hätte. Theodor sagte: »Sehr schön!«
Seine Bewunderung genügte allen und ersetzte die Legitimation. Man sagte
Genosse Trattner zu ihm. Er trug seinen neuen Namen mit Inbrunst. Er, den
jede neue Situation überraschte, erschüttern konnte, jetzt erfand er selbst
Situationen, abenteuerliche Ausbrüche aus Gefängnissen, plötzliche Flucht
vor auftauchenden Spitzeln, Prügeleien mit Polizei und Studenten.
Theodor wuchs in Friedrich Trattner hinein. Durch den Körper dieser Figur,
die er spielte, ging es zu Ansehen und Geltung. Es war wie eine
Gefreitencharge beim Militär, die man ganz durchkosten mußte, ehe man
weiterkam. Man hatte sie bald überstanden. Man gab sich Mühe, ihrer würdig
zu sein, aber nur, um aus ihr schlüpfen zu können.
Neue Menschen lernte Theodor kennen. Den Juden Goldscheider, der die
Güte predigte und bei jeder Gelegenheit das Neue Testament zitierte. War er
ein Bolschewik oder nur ein Jude? Goldscheider selbst erzählte von seinem
Aufenthalt in Irrenhäusern. Er war gewiß närrisch. Er sagte manchmal
Unverständliches. Die anderen täuschten Verständnis vor.
Es war eine harmlose Gesellschaft junger armer Menschen ohne Obdach.
Sie bekamen Logis und einen Kaffee vom Maler Klaften. Der Maler lebte von
unmodernen Bildern, die allgemein in der Gesellschaft Kitsch genannt
wurden. Theodor hielt sie für die besten Werke Klaftens.
Theodor hörte die jungen Leute fluchen. Sie sahen den Tag der großen
Revolution greifbar nahe. Sie fluchten auf sozialistische Abgeordnete und
Minister, die Theodor immer für Kommunisten gehalten hatte. Er verstand so
feine Unterschiede nicht.
Der Maler Klaften porträtierte Theodor. Er erschrak vor seinem eigenen
Bildnis. Es war, als hätte er in einen furchtbaren Spiegel gesehen. Sein
Angesicht war rund, rötlich, die Nase platt, mit leise angedeuteter Spaltlinie
auf dem breiten, flachen Rücken. Der Mund war breit, mit
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Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92