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Kapitel
Zu Hause wurde er sich seiner Bedeutung bewußt. Hier geschah, was er
befahl, hier geschah auch, was er im stillen nur wünschte. Er aß immer
Speisen, die er ersehnte, ohne von ihnen zu sprechen. Er fand seine Kleider
gebürstet, seine Hose gebügelt, alle Knöpfe an den Hemden; kein Papier
vermißte er, seine Waffen lagen geordnet – er liebte die Waffen –, und seine
Pistole putzte Elsa. Auch sie liebte Schießwaffen.
Er war nirgends so mächtig wie zu Hause. Fiel ihm die Lust an zu
herrschen – er konnte es. Ergriff ihn Verlangen nach Wärme – sie wurde ihm.
Hier zweifelte niemand an seiner Vollkommenheit. Er klagte am Abend über
allzuviel Arbeit. Elsa sagte: »Du bist überlastet.« Er hob seine Verdienste
hervor. »Du hast ein gutes Auge«, sagte Elsa, und er hielt sich für einen
Menschenkenner. »Ich liebe den Lenz«, sagte Theodor. »Er ist ein treuer
Freund«, erwiderte Elsa. Und er glaubte an Benjamins Treue. Er hörte das
Lied vom schwarzbraunen Mägdlein gern, Elsa spielte es, unaufgefordert, vor
dem Schlafengehen.
Sie liebte weder das Lied noch Benjamin Lenz, noch glaubte sie an
Theodors Vollkommenheit. Aber es war nötig, in kleinen Dingen
nachzugeben, um in großen recht zu behalten. Eine v. Schlieffen heiratete
einen Bürgerlichen nur, weil sie hofft, daß er es zu den höchsten Stellen im
Staate bringen kann. Dazu gehörte vor allem Beredsamkeit. Und sie brachte
Theodor zum Sprechen.
Er vergaß fast seine Frau. Er fing leise an und steigerte die Kraft seiner
Stimme. Er sprach nicht in seinem Zimmer. Er sprach im großen Saale. Von
tausend Menschen schlug ihm achtungsvolles Lauschen entgegen, wie etwas
Körperliches. Er sprach gut, wenn er eifrig sprach. Ein fremdes Licht
entzündete sich in seinen Augen. Er glaubte an seine Worte. Seine
Überzeugung war die Folge seiner eigenen Rede und wuchs mit dem Schall
der Laute. Seine Stimme überzeugte ihn.
Er sprach von der Notwendigkeit, das Vaterland zu retten, und er gewann
den Glauben seiner Jugend wieder. Alle Erfahrungen waren ausgelöscht. Er
haßte ehrlich den inneren Feind, den Juden, den Pazifisten, den Plebejer. Er
haßte sie wie damals, als er den Prinzen und Trebitsch, den Detektiv Klitsche
und den Major Seyfarth noch nicht gekannt hatte. Auch Elsa haßte die inneren
Feinde. Elsa war national. Sie sprach von dem schlechten Duft der Juden.
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Buch Das Spinnennetz"
Das Spinnennetz
- Titel
- Das Spinnennetz
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1923
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 93
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92