Seite - 10 - in Zipper und sein Vater
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Cäsars, die Lehrer hüteten sich vor Schlägen. Cäsar Zipper erregte nicht
besonderes Aufsehen, er blieb je zwei Jahre in jeder Klasse, aber es half ihm
nichts. Als er die Schule verließ, konnte er gerade lesen und schreiben.
Es war, als gehörte Cäsar nicht zur Familie Zipper. Vor allem traf man ihn
niemals zu Hause, es sei denn während der Mahlzeiten. Da saß er am Ende
des Tisches, die Tür, die zur Küche führte, im Rücken, gegenüber dem alten
Zipper, der dem ungeratenen Sohn zwischen je zwei Gängen wütende,
verachtende Blicke zuwarf. Cäsar erwiderte sie nicht. Cäsar sah immer auf
den Teller, knurrte leise, klopfte mit den Absätzen auf den Fußboden,
trommelte mit den Fingern auf den Sessel und wußte, daß die Raserei in
seinem Vater stieg. Ja, er schien mit Vergnügen zu hören, wie es in dem alten
Zipper kochte. Noch hielt der an sich. Schon aber nahte die Mehlspeise, mit
der Zipper niemals zufrieden war, und plötzlich explodierte er. Er schleuderte
das Salzfaß gegen Cäsar, der es schon längst erwartet hatte und mit dem
geübten Griff eines gewandten Menschen auffing und wieder auf den Tisch
stellte. Dann hörte man ein Sesselrücken, der alte Zipper erhob sich. Er stand
gebückt, die Serviette in der Linken, mit der Rechten griff er hinter den
Rücken, er suchte die Lehne des Stuhls. Einen Augenblick lang sah man seine
Hand, wie sie die leere Luft krallte. Ich sehe noch deutlich diese rechte Hand,
sie sah aus wie ein Tier, eine behaarte Spinne etwa, die blind nach einer nicht
vorhandenen Beute greifen will, sie war schrecklich, diese Hand,
schrecklicher als das Gesicht des Alten, das zu harmlos war, um auch nur
einen Augenblick schrecklich sein zu können.
In dieser Sekunde hatte Cäsar bereits die Tür, die zur Küche führte, mit der
Linken geöffnet. Schon hörte man das Brodeln der Töpfe vom Herd, schon
roch man die Düfte der Speisen, man hörte, wie sich draußen die Frau Zipper
schneuzte und räusperte. Die Klinke in der Linken, die Rechte vor sich als ein
Schild, streckte Cäsar dem Vater eine rote lange Zunge heraus. Die Zunge war
etwas Schamloses, Nacktes, gleichsam auch der weißen Haut Beraubtes. Sie
streckte sich dem Vater entgegen wie eine Wunde und wie eine Flamme.
Dabei kam ein düsteres Knurren aus dem Innern Cäsars, wie ein kleines
Erdbeben. Im nächsten Augenblick war er verschwunden.
Einige Male in der Woche – und sooft mich der alte Zipper zu einer
Mahlzeit einlud – wiederholte sich diese Szene. Arnold kannte schon alle ihre
Phasen, er interessierte sich nicht mehr für sie. Ja, es schien, daß er sie mit
einer besonderen Zufriedenheit an sich vorüberziehen ließ, ich sah manchmal,
wie er ein perfides Lächeln zu verbergen suchte und dennoch offenbarte,
während des kurzen, wortlosen, nur von furchtbaren Bewegungen und
unmenschlichen Lauten begleiteten Sturms, der zwischen dem Vater und dem
Bruder wütete. Ich erinnere mich nicht, gesehen zu haben, daß Cäsar oder der
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110