Seite - 12 - in Zipper und sein Vater
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Musiker zu machen. Mit einer gewissen Hoffnung hatte er wahrgenommen,
daß Cäsar unwillig und schwer lernte und eine Abneigung vor Büchern
bewies, also einen »schlechten Kopf« hatte. Aha, dachte der alte Zipper, das
wird ein Musiker! Cäsar Zipper war ein Name, wie geschaffen für einen
Künstler. Cäsar ein Virtuose, Arnold ein Gelehrter! Aber es erwies sich, daß
Cäsar auch in der Musik keine Fortschritte machte, daß er nach drei Jahren
eines kostspieligen Studiums bei den besten Lehrern der Stadt noch immer die
Tonleiter kratzte. »Nicht einmal einen Walzer kann er!« klagte der alte Zipper.
»Wenn schon kein Künstler aus ihm wird, man kann es ja nicht von jedem
verlangen, so soll er wenigstens in Gesellschaft spielen können, wenn man
gerade tanzen will. Ein junger Mann muß sich angenehm und beliebt machen
können!« Cäsar aber machte sich keineswegs beliebt.
Eines Tages kehrte der alte Zipper von seinem täglichen
Vormittagsspaziergang um eine Stunde früher heim als gewöhnlich. Was war
geschehen? Es war einer der heitersten Frühlingstage, Ostern nahte heran,
man erwartete den Bruder aus Brasilien, und die ganze Wohnung Zippers
befand sich in jener freudigen Erregung, die unvorhergesehene Geldausgaben,
eine Wäscherin im Haus und die Erwartung eines Fremden verursachen. Die
Sonne schien, und die Spatzen lärmten. Der alte Zipper aber durchmaß mit
festen Schritten und den Kopf gesenkt ein Zimmer nach dem anderen. Was
war geschehen?
Er hatte unterwegs den Musikprofessor Cäsars getroffen. Er hatte erfahren,
daß sein »elender Sohn« seit Monaten nicht mehr »zur Lektion« erschienen
war; daß er wahrscheinlich das Honorar, das man ihm jeden Monat für den
Lehrer mitgab, verschwendet hatte. Als Cäsar ahnungslos heimkam, nahm
ihm der Vater die Geige ab, erhob sie und zertrümmerte sie auf dem
widerstandsfähigen Schädel seines Sohnes, ohne ein Wort zu sagen.
Die Reste der Geige sammelte der alte Zipper sorgfältig vom Boden auf,
umschnürte sie mit einem kräftigen Bindfaden und legte sie in einen Sack.
»Bis zu meinem Tode!« schwur der alte Zipper, »werde ich diese
zerbrochene Geige bewahren.« Sie lag in der feuerfesten Kasse von Eisner
und Co. neben der Versicherungspolice und dem Trauungsschein.
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Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110