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Zipper und sein Vater
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gerade dort einsetzt, wenn es den andern schmerzt; ein Wort, das an eine längstvergangene wüste Szene erinnert und das, wieder hervorgeholt, vernarbte Wunden aufreißt; eine Art, einander anzuschauen, die beide erstarren läßt; plötzliche Bewegungen, die ihre umnebelte, eingeschlafene Feindschaft jäh erwecken, wie abgeschossene Raketen eine dunkle Situation im Krieg erhellen und seine ganze Schrecklichkeit. So war es mit dem Ehepaar Zipper. Das Angesicht der Frau Zipper wird mir immer in Erinnerung bleiben. Es lag hinter einem feuchten Schleier. Es war, als lägen ihre Tränen, immer bereit, vergossen zu werden, schon über ihrem Augapfel. Sie trug lange blaue Schürzen, die sie einer Krankenschwester zweiter Klasse ähnlich machten. Auf sanften Pantoffeln ging sie durchs Leben. Niemals sprach sie mit lauter Stimme. Oft seufzte sie und schneuzte sich. Wenn sie ihr Taschentuch vors Gesicht führte, sah man ihre Hände, trockene harte Hände, an denen die Finger unverhältnismäßig stark waren, wie künstlichangesetzt an eine viel zu schwache Hand. Zog sie manchmal, an Festtagen, ihr schwarzes Flitterkleid an, so sah sie noch gelber aus als gewöhnlich, sie hatte etwas Erfrorenes, als hätte man sie aus einem Eiskasten genommen. Steif – nicht vor Stolz, sondern vor Ergebenheit, Ohnmacht, Unglück und Trauer –, steif saß sie in einem Sessel. Ihr schütteres farbloses Haar hatte sie in die weite hohe Stirn hineingekämmt, es war eine Art erzwungener Verschönerung, eine Maßnahme gegen den Willen der Frau Zipper, als hätte man sie frisiert, während sie in einer tiefen Ohnmacht lag, und als hätte sie nicht einen Moment lang in den Spiegel gesehen. Nur der Mund der Frau Zipper, der heute eingefallen war und verbissen aussah, verriet, wenn sie ihn zu einem seltenen Lächeln öffnete, einen längst erstorbenen Reiz, eine verschwundene, schöne, runde Fülle, und im Kinn erschien noch für den Bruchteil einer Sekunde ein sanftes Grübchen – nein! kein Grübchen mehr! – sondern eine Erinnerung an ein Grübchen. Ihr Lächeln, ihr seltenes Lächeln, war wie eine sanfte, verstohlene Totenfeier für ihre Jugend. In ihren blassen feuchten Augen entzündete sich ein schwaches fernes Licht, das schnell wieder erlosch, wie das Blinkfeuer eines sehr weiten Leuchtturmes. Niemals lächelte sie in Anwesenheit ihres Mannes. Niemals beteiligte sie sich an seinen kleinen Späßen, niemals ging sie auf ein Gespräch ein, das er manchmal anzuknüpfen versuchte. Auf seine Fragen antwortete sie mit ja oder nein. Wie mußte sie ihn hassen, verachten vielleicht! Er mochte ihren Haß hinter ihrer Stille fühlen, wie man glattes, scharfes Eis unter der Schneedecke spürt. Sie reizte ihn. Weil er nicht klug war, begann er, sie zu verspotten. Sooft Cäsar nach einem Sturm verschwunden war, trat sie mit einem Seufzer aus der Küche. Dann geschah es, daß der alte Zipper mit einer frohlockenden Stimme sagte: »Hat dir dein lieber Sohn gesagt, wohin er sich 14
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Zipper und sein Vater
Titel
Zipper und sein Vater
Autor
Joseph Roth
Datum
1928
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
112
Schlagwörter
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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