Seite - 29 - in Zipper und sein Vater
Bild der Seite - 29 -
Text der Seite - 29 -
»Der arme Kaiser!« klagte Frau Zipper.
»Der Kaiser wird froh sein, daß der Kerl umgekommen ist!«
»Pst!« sagte Frau Zipper. »Sprich nicht so laut!«
»Ich hab keine Angst, ich sag jedem meine Meinung!«
Zippers Meinung änderte sich aber doch in den nächsten Tagen, als die
Demonstrationen begannen. Er selbst zog vor die serbische Gesandtschaft. Er
kam nach Hause und erzählte: »Man wird’s ihnen schon zeigen! Der
Thronfolger war ein Hund, aber was geht es die Serben an? Wir wären schon
selbst mit ihm fertig geworden. Jetzt werden sie sehn, daß mit uns nicht zu
spaßen ist. Die Polizei ist doch großartig! Zieht vom Leder, und im Nu sind
alle weggeblasen. Der ganze Platz in fünf Minuten gesäubert. Der Inspektor
Hawerda hat heute Dienst gehabt. ›Brav habt’s ihr gearbeitet!‹ hab ich ihm
gesagt. – (Ein netter Mensch, der Inspektor Hawerda.) ›Aber doch ein bissel
zu viel mit den Säbeln. Schließlich ist das der Wille des Volks.‹ – ›Dienst ist
Dienst!‹ sagte der Hawerda. – Das muß man auch verstehn!«
Schließlich war Zipper enttäuscht, daß man nicht sofort gegen die Serben
marschierte. Von allen Menschen, die ich damals kannte, war er der einzige,
den die Mobilisierung nicht überraschte.
»Ich hab es immer gesagt, daß es ohne Krieg nicht ausgehn wird.«
Und Zipper, Zipper, der revolutionäre Zipper sagte zu seiner Frau:
»Pack mir die Uniform aus, man kann nicht wissen. Im Krieg spielen
Krampfadern keine Rolle. Ich bin ein alter Soldat, mag der Kaiser sein, wie er
will, ich hab den Eid geleistet.«
Vielleicht wäre Zipper gegen den Krieg gewesen, wenn sich die Gesinnung
seiner Frau nicht geändert hätte. An dem Tag, an dem die ersten Männer
einzurücken begannen, hörte ihr Patriotismus auf.
»Wenn man will, kann man sich immer in Güte einigen«, sagte Frau
Zipper.
»Misch dich nicht in die Weltpolitik«, rief der Alte. »Arnold, morgen
meldest du dich freiwillig!«
Da sah ich zum erstenmal Frau Zipper aufspringen. Zum erstenmal hörte
ich sie kreischen. Sie stand auf gegen ihren Mann, sie erhob den Sessel, sie
mußte in diesem Augenblick die Kraft von tausend Müttern gefühlt haben.
»Nein!« rief sie. »Solange ich lebe, wird sich keiner meiner Söhne
freiwillig melden. Arnold nicht und Cäsar auch nicht. Geh allein in den Krieg.
Ich brauch dich nicht! Geh, geh zu deinem Kaiser! Du! Du!«
29
zurück zum
Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110