Seite - 47 - in Zipper und sein Vater
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der Bank, hätte man ihm ein Almosen geben können, wenn er nicht durch die
Zeitung und die Brille eine gewisse Reputation bekommen hätte. Ich setzte
mich zu ihm.
»Nun«, sagte er, »Arnold hat dir sicherlich erzählt, daß mein Bruder nichts
von ihm wissen will. Du bist ja sein Jugendfreund, du kennst ihn so gut wie
ich, noch besser, möcht ich sagen. Glaubst du, daß er allein nach Brasilien
gehen kann? Glaubst du nicht auch, daß er begabt ist – über den
Durchschnitt? Wenn dieser Krieg nicht gewesen wäre! Was hätte Arnold nicht
alles sein können? Mein Geschäft ging gut« (der alte Zipper hatte vergessen,
daß der Krieg weniger an seinen geringen Einnahmen schuld war als er
selbst), »ich hätte ihn noch eine Zeitlang ausgehalten. Er soll ein Bauer
werden, meint mein Bruder. Mein Arnold – ein Bauer! Warum nicht gleich
ein Tischler, wie mein Vater? Ich dachte, es ginge aufwärts mit meiner
Familie, nicht abwärts.«
Und Zipper redete eine halbe Stunde lang ähnliche Sätze. Schließlich
erzählte er mir »im Vertrauen« – und er nahm meine Hand und beschwor
mich zu schweigen –, daß er selbst für Arnold eine Stelle suche. Alte
Verbindungen »grabe er aus«. Arnold aber sollte nicht wissen, daß sein Vater
»vorarbeite«. Arnold sollte eines Tages eine »schöne Karriere« vor sich
haben.
Da ging er hin, der alte Zipper. Die Zeitungen ragten ihm aus der
Rocktasche, Sonnenkringel spielten auf seinem Rücken, er ging nicht nur
gebückt, er wackelte auch vor Schwäche, es war, als zögen ihn schwere
Gewichte rechts und links. Er kannte und begrüßte den Gärtner des Parks –
eine vornehme Persönlichkeit, eine von jenen Persönlichkeiten, von denen
Zipper immer geglaubt hatte, es wäre gut, sich mit ihnen zu vertragen. Ja, er
blieb sogar stehen, der Gärtner, der den Rasen umgegraben hatte, kam, auf die
Schaufel gestützt, vor das Eisengitter, das die Beete von der Allee abschloß.
Zipper sprach mit dem Gärtner. Wahrscheinlich freute sich der Alte, er wußte,
daß ich ihn noch sehe, er konnte mir zeigen, daß er ein bekannter Mann war.
Ihm allein, von allen Spaziergängern im Park, konnte es gelingen, den Rasen
zu betreten. Wahrscheinlich erfüllte diese Macht den alten Zipper mit Stolz,
auch jetzt noch, da er für Arnold eine Stelle suchte.
Er kannte den Hofrat Kronauer vom Finanzministerium. (Wer kannte ihn
nicht? Jedem hatte Kronauer schon irgendeinmal geholfen.) Er war einer der
ältesten Kunden Zippers. Was ging den Hofrat Kronauer die Revolution an?
Einen zweiten Kenner der Gesetze, der Verordnungen, der Einkommen- und
Gewerbesteuer, der Abzüge und der Zuschläge gab es nicht. Er blieb im Amt,
er wurzelte geradezu drin wie ein alter großer Baum in einem Park. Er
spendete Güte, Hilfe, Protektionen. Der alte Zipper war nicht umsonst bei ihm
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110