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Zipper und sein Vater
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Ich will die Straße nicht sehen, solange noch der Tag nicht ganz vorbei ist. Ich gehe nach Hause, ziehe mir das Neueste an, die besten Schuhe, das beste Hemd, dann spiele ich etwas, nur ein paar Melodien, die mir so im Gedächtnis geblieben sind, dann ist endlich der Abend da. Er kommt, während ich spiele, es scheint mir, daß ich ihn herbeirufe. Ich pfeife auf die ganze Erziehung, ich bin meinem Vater nur für das eine dankbar, daß er mir zur Musik verholfen hat. Am Abend kann ich auf die Straße. Ich schäme mich, solange noch ein Stückchen Tag ist. Denn diesen Tag habe ich mit dem Amt angefangen, er ist verdorben, schmutzig, ich kann nichts mit ihm machen. Außerdem bin ich müde, wie nach einem Rückzug, nach einem Marsch von drei Tagen. Ich habe einen Hunger den ganzen Tag, als lebte ich in frischer Luft. Es ist der Hunger, der die Erschöpfung begleitet. Menschen im hohen Greisenalter, die den ganzen Tag im Bett liegen, haben auch so einen Hunger. Schließlich könnte man sich abfinden mit jeder Tätigkeit, auch wenn sie sinnlos wäre. Das Militär war auch sinnlos. Aber man sah einen Vorgesetzten, er ersetzte den Sinn. Man wurde bestraft, belohnt, jeden Tag und jede Stunde. Man hatte einen Befehl, er ersetzte das Ziel. Im Amt aber siehst du nicht, wohin der Akt kommt, wozu er gemacht wird, für wen. Manchmal, ich muß es dir gestehen, packt mich irgendein dummer Ehrgeiz. Ich fange an, besonders schöne Buchstaben zu malen und vollendete Zahlen, ich schreibe an einem Akt eine halbe Stunde, ich könnte ihn in fünf Minuten fertig haben. Verstehst du das?« »Ich verstehe«, sagte ich. »Ich glaube, der Krieg hat uns verdorben. Gestehen wir, daß wir zu Unrecht zurückgekommen sind. Wir wissen so viel wie die Toten, wir müssen uns aber dumm stellen, weil wir zufällig am Leben geblieben sind. Diese Straße und dieses Amt, die Steuern und die Post und der Tanz und das Theater und die Krankheit, das Elternhaus und alles andere – alles kommt uns so lächerlich vor. Wir können vielleicht nur noch zwei Sachen, die uns beweisen, daß wir lebendig sind. Wir können gehorchen und befehlen. Aber lieber gehorchen als befehlen. Wir haben es als eine Art Gesellschaftsspiel getrieben. Denn da wir dem Tod geweiht waren, waren die militärischen Vorbereitungen für den Tod ja nur ein Spiel. Wir waren ebenso darüber hinaus, wie ernste Männer, die sich in der Eisenbahn die Zeit vertreiben wollen, über die Dominosteine erhaben sind, mit denen sie spielen. Aber es hat uns interessiert, das heißt, es hat uns abgelenkt. Heute denke ich, daß diese Welt, diese militärische Welt, die allerdings nur für Todgeweihte gut ist, eine sauber eingerichtete, bequeme Welt war. Sie ersparte uns das Leben, das Mühe bringt, Sorgen, das aus Plänen, Gedanken, Hoffnungen, Zusammenbrüchen besteht. Beim Militär gab es keine Hoffnung, keinen Plan, 50
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Zipper und sein Vater
Titel
Zipper und sein Vater
Autor
Joseph Roth
Datum
1928
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
112
Schlagwörter
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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