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Zipper und sein Vater
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tote Fliege klebte hier und dort in einer Ecke, das Licht war aus unbekannten Gründen grünlichgrau, die Wohnung erinnerte an eine Art Meeresgrund, an eine Art Bassin, an ein Aquarium. Der Abend fiel früher in diese Wohnung, als er von Rechts und Natur wegen sollte. Waren die Lampen angezündet, so brannten sie in einem grauen Nebel, man sah ihren Kern nicht, sie erinnerten an Mitternachtssonnen. Der alte Zipper schneuzte sich fortwährend. Er hatte einen Rachenkatarrh seit seiner ersten Jugendzeit. Ich erinnere mich, daß er Jahr für Jahr davon gesprochen hatte, nach Kudowa zu fahren. Da aber auch sein Magen nicht ordentlich arbeitete, schwankte der alte Zipper, ob er nicht doch lieber nach Karlsbad fahren sollte. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß er nirgends hinfuhr, weil er kein Geld besaß. Er bildete sich ein, er bliebe zu Hause, weil er zwei Übel habe, von denen jedes einen anderen Kurort verlange. Er krächzte, räusperte sich, trank Sliwowitz und hustete. Als ich diesmal die Wohnung der Zippers betrat, sah ich, daß der Alte den Schal seiner Frau trug. Er war ein bißchen krank, er konnte seinen bescheidenen Geschäften nicht mehr nachgehen. Ein Glück, daß Wandl heil aus dem Krieg zurückgekommen war und die Miete für den »Salon« bezahlte. Sie war jetzt Zippers einzige Einnahme. Er traktierte mich mit Weichselschnaps und Tee. Er wurde warm, er sprach viel, er war sogar optimistisch. Hörte man ihm zu, so konnte man glauben, er ginge einem glücklichen, sorglosen Greisenalter entgegen. Arnold war gut versorgt. Während eine Million junger Männer brotlos umherirrte, saß er an einer Stelle, auf der man wachsen und gedeihen konnte, eine Pflanze in einem gut placierten Blumentopf. Nichts konnte mehr in seinen Weg kommen. Er war nicht einmal nur Vertragsbeamter. Er war ausnahmsweise schon mit Dekret angestellt. Er war auch schon seit einigen Tagen nicht zu Hause gewesen. Um ihn nicht unruhig zu machen, log ich, daß ich Arnold erst vorgestern im Kaffeehaus gesehen hätte. Warum vorgestern? – Es schien mir, daß ich weniger log, wenn ich eine vorgetäuschte Unterredung vor einer längeren Zeit stattfinden ließ. Ich wußte aber schon, daß Arnold etwas zugestoßen war. Oh, kein Unglück, keine Katastrophe! Denn in dem Leben der Zippers hatten die Schicksale keine ursprüngliche und plötzliche Kraft. Sie hatten die langsame, langweilige Tätigkeit der Bohrwürmer. An dem grauen Himmel, der sich über den Zippers wölbte, entluden sich keine Gewitter. Sie zogen sich nur an ihm zusammen. So eine zaghafte Wolke fühlte ich jetzt herannahen. Ich sprach aber nicht von ihr. Ich tat so, als wäre es heller Sonnenschein. An diesem Abend wollte ich Arnold im Kaffeehaus erwarten. Es schien mir, daß es nicht mehr so aussah wie immer. Arnold Zipper fehlte. Alle, die sich so oft im stillen gefragt hatten: Was macht eigentlich 58
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Zipper und sein Vater
Titel
Zipper und sein Vater
Autor
Joseph Roth
Datum
1928
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
112
Schlagwörter
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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