Seite - 78 - in Zipper und sein Vater
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wollte. Er hatte keine Angst vor der Arbeitslosigkeit oder vor dem Hunger.
Aber hier, wo er saß, war der einzige Ort, an dem er für seine Frau arbeiten
konnte – soviel eben Arnold für seine Frau arbeiten konnte. Hier erfuhr er von
günstigen Möglichkeiten, die sie ausnützen konnte, von drohenden Gefahren,
die sie meiden sollte, von Persönlichkeiten, die »noch in Position« oder schon
ausgeschieden, von Rollen, die noch unbesetzt waren, von auftauchenden
Rivalinnen und von drohenden Intrigen. Oh, wie heilig war Arnold dieser
Beruf! Fast als Gleichberechtigter saß er jetzt am Tisch der Schriftsteller –
manche bedurften seiner Unterstützung und schmeichelten ihm sogar –, nicht
mehr in dem alten Wiener Stammcafé, in dem er so gerne diesen Triumph
erlebt hätte, aber immerhin in einem Literatencafé. Von Zeit zu Zeit kam einer
aus Wien herüber, sah Arnold Zipper im Kreise von bedeutenden Männern
und wunderte sich: »Ei sieh! in Berlin ist sogar der Zipper was geworden!«
Der Kundschafter kehrte nach Wien zurück, ließ sich von den Stammgästen
umringen und rief:
»Der Zipper ist kein Kiebitz mehr!«
Arnold Zipper war jetzt Mitglied mehrerer Vereine. Keiner
Wohltätigkeitsvereine, wie sein Vater! Es gab einen Verein für die Errichtung
eines Asta-Nielsen-Denkmals, einige Journalistenvereine, einen Verein, der
jährlich Filmfeste veranstaltete mit Schönheitskonkurrenzen und
Damenboxen. Überall war Arnold ein lebhaftes Mitglied.
Er war weit davon entfernt, die unsauberen Geschäfte, die er redigierte, zu
bedauern. Ich glaube, daß er nicht einmal merkte, wie er für ganze und halbe
Lügen bezahlt wurde. Er selbst ließ sich nicht bestechen, er nahm nicht
einmal kleine Geschenke an, keine harmlose Einladung, wenn er eine
verborgene Absicht spürte. Er log nur für seinen Chef. Er war wie die meisten
ehrlichen Handlanger der Verdiener.
Er sah nur eine Aufgabe: seiner Frau nützlich zu sein. Weit von ihr entfernt,
an der Peripherie ihres Lebens, streifte er herum. Sie wohnten nicht
zusammen, sie aßen nicht, sie schliefen nicht, sie kamen nicht miteinander
zusammen. Aber daß jedermann wußte, daß Arnold Zipper der Mann der
entzückenden, wenn auch Männern nicht gefälligen Filmschauspielerin war,
genügte ihm, oder genügte ihm nur scheinbar. Denn ich erfuhr später, daß er
einer der unglücklichsten Menschen war, die jemals zwischen dem Film und
der Zeitung gelebt hatten, obwohl er immerhin noch glücklicher aussah als
zwei Jahre früher in Wien und ohne seine Frau.
Für sie beugte er seinen Rücken, wenn sein Verleger ihn rügte, für sie log
er Nachrichten um, rannte er um Interviews, für sie bekam er tausend
Einfälle, für sie war er ein »brauchbarer Filmjournalist«, für sie sprach er
stundenlang mit Inseratenagenten, und weil in der Welt der Branche eine
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110