Seite - 79 - in Zipper und sein Vater
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Hand die andere in der Öffentlichkeit wäscht – was eine der wenigen
Tugenden dieser Welt ist –, schämte sich Zipper gar nicht, im Kaffeehaus oder
im Klub zu erzählen, daß er »Coups contrecarrierte« und »Chosen deichselte«
im Interesse seiner Frau, mochte sie auch noch so wenig interessiert sein an
dem, was Arnold tat.
Denn sie kümmerte sich nicht um ihn. Sie wohnte außerhalb der Stadt, im
Westen natürlich, der vornehmen Himmelsgegend, dort, wo eine Kolonie
gutbezahlter Künstler den Bankdirektoren nahe war, den Politikern, den
Industriellen. Sie wohnte mit drei Freundinnen, zwei Windhunden, die damals
sehr modern waren, an Potsdam erinnerten und mit ihrer zerbrechlichen,
dummen Grazie Eindruck machten, einem Gärtner und einem Chauffeur in
einer Villa – – selbstverständlich in einer Villa. Die Buddhas begannen schon
in der Halle und setzten sich bis ins Schlafzimmer fort. Eine ihrer
Freundinnen war Morphinistin – des guten Tons halber – und besaß ein
Grammophon, das sie in den Schlummer sang. Es spielte den ganzen Tag,
man hörte sein fernes Ächzen, mit dem es die Melodien begleitete, durch alle
Türen und das sanfte Quietschen der Kurbel, wenn man es aufzog. Oben, in
einem Zimmer, das nur Sofas und Windhunde und Buddhas enthielt, lebte
Arnolds Frau, wenn sie nicht im Atelier war.
Zu Hause trug sie des Morgens einen Kimono, zum zweiten Frühstück, das
sie um vier Uhr nachmittags einnahm, ein sogenanntes »Déshabillé« aus
durchsichtiger und plissierter Seide, und sie glitt aus diesem Gewand – das ja
ihre Tageszeit war – sofort in den Abend hinein, das heißt: in die »Toilette«.
Dann empfing sie Gäste.
Es waren ihre Kollegen aus den benachbarten Villen, lauter Lieblinge des
Publikums, dämonische, sarkastische, lyrische, Verführer – und plebejische
Typen, Schwerenöter und unwiderstehliche Bezwinger des Schicksals. Ach,
wie sahen sie gleichmäßig aus und harmlos! Sie waren nicht geschminkt, es
leuchteten keine Lampen, es befahl kein Regisseur. Sie hatten niemandem zu
gehorchen als der Sitte, die ihnen befahl, zweimal innerhalb von fünf Jahren
zu heiraten und dreimal in einem Jahr bestohlen zu werden. Wenn man sie
sah, wie sie Karten spielten, Buki-Domino, wie sie panierte Schnitzel aßen
und nach den wehenden Blättern des Salats schnappten, wie sie Liköre
mischten und zum Grammophon tanzten, so verstand man nicht, was sie
eigentlich dazu trieb, Schauspieler zu sein, durch weite, von Lärm erfüllte,
wüste Ateliers zu hasten, in merkwürdigen Kostümen, was sie veranlaßte,
Tränen zu vergießen und Throne aus Pappendeckel zu besteigen, auf Pferden
zu galoppieren und auf Schiffen unterzugehen; weshalb sie ferner ihr privates
Leben in den Glasvitrinen ausstellten, in den Zeitungen druckten, Biographen
mitteilten, einen Klatsch um sich selbst erzeugten, logen und dementierten,
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110