Seite - 86 - in Zipper und sein Vater
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Nach einigen Tagen sah ich in der »Illustrierten Zeitung« Erna an der Seite
eines bekannten Schauspielers, der auf der Leinwand die Dämonischen gab,
auf der Photographie aber ein Bergsteigerkostüm hatte.
»Die Kunst in den Bergen« hieß die Bilderreihe. Alle Jünger aller Künste
trugen Alpenstöcke und waren ausgelassen vor Heiterkeit.
Es folgten zwei Monate, in denen Arnold nicht zu sehen war. Er kam nicht
ins Kaffeehaus. Er kam auch nicht in den Klub. Ich besuchte ihn in seiner
Redaktion.
»Alles«, sagte er, »hätte sie machen dürfen, nur nicht mit diesem Lümmel
wegfahren. Die Aufnahmen für den Film ›Im Schatten der Riesen‹ beginnen
erst in sechs Wochen. Wenn sie ihre Launen mit den Mädchen hat, das ist
selbstverständlich. Aber wo soll das hinführen, wenn sie sich einmal mit
einem Mann eingelassen hat? In aller Augen ist sie jetzt eine leichte Beute.
Mit diesem Kerl! Er ist der dümmste! Er ist sogar unter Schauspielern der
dümmste.
Ich hätte noch verstanden«, sprach er weiter, auf und ab gehend, »wenn sie
eine außerordentliche Gelegenheit wahrgenommen hätte. Der Generaldirektor
Hartwig zum Beispiel. Er bemüht sich seit Jahren um sie. Er wollte ihr eine
komplette Filmgesellschaft einrichten, mit allem. Er wollte ihr das
große Alga-Atelier schenken. Ich hätte mich sofort scheiden lassen, wenn ich
gesehen hätte, daß sie es nötig hat.
Wenn von heute in einer Woche nichts kommt, nehme ich Urlaub und fahre
hin!«
Arnold ging zum Schreibtisch, blätterte im Kalender und strich ein Datum
rot an.
»Ich fahre!« sagte er.
Auf seinem Schreibtisch standen sechs Photographien seiner Frau. Erna in
verschiedenen Kostümen und Rollen. Erna, Erna, Erna.
Da Arnold fortgehen wollte, legte er die Photographien in eine große
Mappe und schloß sie in eine Lade.
»Ich lasse nie die Bilder stehen!« sagte er.
In diesem Augenblick brachte man Arnold ein Telegramm. Er ließ den
Mantel, den er auf dem Arm gehabt hatte, fallen, den Hut und Stock. Seine
Hände zitterten. Er hielt das geschlossene Telegramm einige Sekunden in der
Hand. Dann ging er zum Fenster, wie um beim Licht besser zu lesen. (Denn
es dämmerte schon.) Dann überlegte er eine Weile, ging zur Tür, drehte das
Licht auf, zündete auch die Schreibtischlampe an, setzte sich, wie um eine
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110