Seite - 91 - in Zipper und sein Vater
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kostspielige Reise bezahlen müssen.«
»Wie kannst du mir in dieser Situation das Geld vorwerfen? Du weißt, daß
ich eine Künstlerin geheiratet habe.«
»Kunst geht nach Brot!« bestätigte der alte Zipper.
»Und ich will dir gleich sagen«, fuhr Arnold fort, »daß du mir morgen noch
für die Reise Geld beschaffen mußt. Es ist gut, daß du gekommen bist. Wenn
Erna wirklich einen Unfall erlitten hat, muß ich sie in das allerbeste
Sanatorium bringen. Sie soll nicht daran denken, Vorschüsse zu nehmen, die
sie für Jahre verpflichten. Ich muß ihr die materielle Freiheit sichern.«
»Wieviel Geld brauchst du?« fragte der Alte. In diesem Augenblick ahmte
er einen der vielen amerikanischen Milliardäre nach, die er im Kino gesehen
hatte, jene Milliardäre, die das Scheckbuch lose in der Westentasche tragen
und bereit sind, ihren Söhnen mit väterlicher Großmut aus schwierigen Lagen
zu helfen.
»Soviel du aufbringen kannst!« sagte Arnold.
»Das geht zu weit!« empörte sich der Alte, der jeden Monat vergebliche
Anstrengungen machen mußte, um einen seiner fälligen Wechsel zu
prolongieren.
»Wenn man nur wüßte, ob die Kunst sie wirklich ganz okkupiert hat«, fuhr
der alte Zipper fort, ruhiger und mit dem Ton eines Sachverständigen, der sich
selbst seine Sachkenntnis durch die Wahl einer so preziösen Wendung
bestätigt.
»Sie ist die leidenschaftlichste Schauspielerin, die ich jemals gesehen
habe!« rief Arnold. »Für eine einzige Bewegung ihrer Hand gebe ich alle
Monologe der berühmten Tragödinnen.«
»Zur großen Tragödin fehlt ihr schon die Statur!« widersprach der alte
Zipper. »Übrigens habe ich sie noch nicht gesehen!«
»Oh, wenn sie jetzt gesund wäre, du würdest sie heute abend sehen und mir
recht geben.«
»So, sind Sie auch von ihr überzeugt?« fragte mich der Alte.
»Ich glaube, daß sie sehr viel kann«, erwiderte ich.
»Ja, ja, sie kann viel!« wiederholte Zipper. Und schon merkte ich, wie in
dem Alten der Stolz auf die Schwiegertochter wieder erwachte, den er nur
zurückgedrängt hatte, gleichsam um sich selbst und seine verletzte Eitelkeit
auch einmal zur Geltung zu bringen. Erfüllt von dem Gegenstand seines
Prozesses und die Rolle vorbereitend, die er morgen vor dem Gericht – und
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110