Seite - 92 - in Zipper und sein Vater
Bild der Seite - 92 -
Text der Seite - 92 -
vor einem Berliner, wo alles klappte – spielen würde, hatte er sich gezwungen
gesehen, seiner Schwiegertochter weniger Bedeutung beizumessen, als sie in
ruhigen Zeiten verdiente. Nun aber war sie durch den Unfall nicht nur als
Privatmensch, sondern auch als Schauspielerin wieder zur größeren Geltung
gekommen. Der alte Zipper widersprach seinem Sohn eigentlich nur noch aus
dramatischen Gründen, um sich auszusprechen, um den Dialog nicht
absterben zu lassen und weil er sich gerne den Anschein gab, daß er nur sehr
schwer und nur nach längerer Zeit zu überzeugen war.
Deshalb stritten sie noch eine Weile über das Genie Ernas.
Über den Alten wunderte ich mich nicht. Ich beobachtete einigermaßen
erstaunt meinen Freund Arnold. Mir war, als hätte ich die Ähnlichkeit
zwischen Vater und Sohn erst in dieser Stunde feststellen können, in der sie
miteinander über einen Gegenstand stritten, von dem sie eigentlich das
gleiche dachten. Ich bemerkte in Arnolds Angesicht denselben Zug einer
verspielten kindischen Seligkeit, die das Angesicht des Alten so schicksalhaft
zeichnete. Nur, daß sie in Arnolds Angesicht von einem traurigen Schleier
überweht schien. Es war, als besäße der Sohn schon das Wissen von der
Lächerlichkeit seiner selbst und wäre deshalb tragisch; während der Vater
noch die gleiche Eigenschaft mit dem siegreichen Stolz eines Menschen trug,
der zu wissen glaubt, daß er gerade infolge dieser Anlage triumphieren wird.
Wir saßen noch lange so – Arnolds Zug ging erst am Abend –, tranken
viele Tassen Kaffee und sprachen von Erna. Endlich – es dämmerte schon –
sagte Zipper mit erhobener Stimme, und er glich einem Fanatiker der
Gerechtigkeit, der nur ihren Triumph will und auf seinen eigenen verzichtet:
»Was Recht ist, ist Recht! Der Wahrheit die Ehre! Zeig mir ein Bild von
Erna!«
Arnold brachte ein Dutzend Photographien. Erna in verschiedenen Rollen.
Der alte Zipper zog ein Vergrößerungsglas aus der Tasche, kniff ein Auge zu
und betrachtete, über den Tisch gebeugt, die Photographien.
Endlich sagte er:
»Du scheinst recht zu haben! Sie hat eine edle Haltung, möcht ich sagen!
Ich hör sie fast deklamieren! Medea! Am Schluß, wie sie die vergifteten
Gewänder hinüberschickt, du weißt schon! Schade, daß ich so selten im
Burgtheater bin. Da kriegt man nicht leicht Freikarten, und außerdem laß ich
mich nicht gerne traurig machen. Aber sie hat eine edle Haltung, diese Frau.
Wenn sie einmal zum Burgtheater kommt, werde ich doch hingehen!«
Und Arnold, Arnold, der seinen Vater so genau kannte wie ich, Arnold rief:
»Nicht wahr, sie ist eine große Schauspielerin?!« Als hätte er die Kritik aus
92
zurück zum
Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110