Seite - 111 - in Zipper und sein Vater
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unserer Väter, und ich habe die Hoffnung, daß mancher meiner Leser von
unserem Alter im Herrn Zipper, zumindest in vielen Eigentümlichkeiten
Zippers, seinen eigenen Vater erkennen wird, ebenso wie er sich selbst in Dir
erkennen muß, wie ich mich selbst in Dir zu erkennen glaube. Ja, ich gestehe
Dir, daß es mir manchmal scheint, ich könnte Du sein und selbst auf der
Bühne des Varietés stehen und die vergeblichen Versuche machen, auf meiner
Geige ein Spiel zu beginnen. Vielleicht, so denke ich, käme in dieser Art der
regiemäßig verhinderten Produktion, über die das Publikum lacht, das traurige
Verhältnis, das ich zum Publikum habe, besser zum Vorschein als durch die
mühseligen Worte, durch die ich mich verständlich zu machen versuche,
ebenso vergeblich, wie Du zu spielen. Dein Beruf hat eine gröbere, aber dafür
auch eine deutlichere Symbolik. Er ist symbolisch für unsere Generation der
Heimgekehrten, die man verhindert zu spielen: eine Rolle, eine Handlung,
eine Geige. Wir werden uns nie verständlich machen, mein lieber Arnold, wie
Dein Vater es noch konnte. Wir sind dezimiert. Wir sind zu wenige. Zu
wenige für diese Welt, in der nichts anderes als das rein physische Gewicht
der Masse den Durchbruch macht und nicht die geistige Energie einer Einheit.
Ich beglückwünsche Dich dennoch zu Deinem neuen Beruf. Versuche Du
nur weiter, vergeblich zu spielen, wie ich nicht aufhören will, vergeblich zu
schreiben. »Vergeblich«, das heißt: scheinbar vergeblich. Denn es gibt, wie
Du selbst weißt, irgendwo eine Region, in der die Spuren unseres Spiels
verzeichnet bleiben, unlesbar, aber auf eine merkwürdige Weise wirkungsvoll,
wenn nicht jetzt, so nach Jahren, und wenn nicht nach Jahren, so nach
Tausenden von Jahren. Man wird wahrscheinlich nicht wissen, ob ich
geschrieben und Du gespielt hast oder umgekehrt. Aber in dem geistigen
Gehalt der Atmosphäre, der stärker ist als ihr Gehalt an Elektrizität, wird ein
fernes Echo Deines einen Geigentons schweben, neben dem ebenso fernen
Echo eines Gedankens, den ich einmal habe niederschreiben dürfen. Und
sicherlich wird die verfehlte Sehnsucht unserer ganzen Generation unsterblich
bleiben, wie sie unerfüllt geblieben ist.
Ich begrüße Dich in alter Freundschaft
Joseph Roth
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110