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52 | Cultural Governance in Österreich
„Wie die Privatsphäre vom Wirtschaftssystem, so wird die Öffentlichkeit vom Verwal-
tungssystem unterlaufen und ausgehöhlt. Die bürokratische Vermachtung und Austrock-
nung spontaner Meinungs- und Willensbildungsprozesse erweitern einerseits den Spiel-
raum für eine planmäßige Mobilisierung von Massenloyalität und erleichtern andererseits
die Abkopplung der politischen Entscheidungen und Legitimationszufuhren aus identi-
tätsbildenden, konkreten Lebenszusammenhängen.“ (Habermas, 1981: S. 480)
Normativ gefasste Good Governance (OECD Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, 2001, 2009) braucht die Zivilgesellschaft
nicht nur als kooperierendes, sondern auch als kritisches Gegenüber, das Trans-
parenz einfordert und fallweise gegen politische Entscheidungen protestiert. Kri-
tische BürgerInnen sind nicht immer bereit, an Dialog- und Konsultationsprozes-
sen teilzunehmen (Bolzendahl, Coffé, 2013). Die Demokratietheoretikerin Chan-
tal Mouffe wertet diese Möglichkeit des Agonismus – nicht als Antagonismus im
Sinne einer feindlichen Auseinandersetzung, sondern als Auseinandersetzung,
die Unterschieden respektvoll begegnet – sehr hoch im Hinblick auf eine Stär-
kung der Demokratie. Es geht in diesem Sinne nicht darum, Unterschiede zu
eliminieren (über Gewalt oder Konsenszwang), sondern den demokratischen
Prozess als die Möglichkeit einer engagierten Auseinandersetzung zwischen
vielfältigen, oft unvereinbaren Positionen wertzuschätzen – sofern alle legitim
sind, denn es gibt auch illegitime Positionen, beispielsweise Rassismus oder an-
dere Formen der Diskriminierung. Der demokratische Prozess hat somit ein
transformatives Potential:
„Envisaged from the perspective of agonistic pluralism the aim of democratic politics is to
transform antagonism into agonism. [...] An important difference with the model of ‚de-
liberative democracy’ is that for ‚agonistic pluralism’, the prime task of democratic poli-
tics is not to eliminate passions from the sphere of the public, in order to render a rational
consensus possible, but to mobilize those passions towards democratic designs.“ (Mouffe,
2000: S. 103)
Das Konzept des agonistischen Pluralismus unterscheidet sich damit sowohl von
traditionellen liberalen Konzepten von Demokratie als Aushandlung von Interes-
sen als auch von Jürgen Habermas’ Orientierung an der demokratischen Ent-
wicklung als Konsensus unter der Voraussetzung, dass Menschen ihre individu-
ellen Interessen zurückstellen und als rationale Wesen agieren. Demgegenüber
bedarf es nach Chantal Mouffe einer Arena, in der Konflikte ausgetragen werden
können – des demokratischen Prozesses. Nicht nur Wahlrecht und Mehrheitsent-
scheid sind damit zentral, sondern auch die Existenz einer Arena – entsprechend
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293