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Theoretische Situierung | 61
über eine rein textvermittelte interpretative Analyse nur unzureichend erschließ-
bar. Ein analytischer Zugang besteht darin, Emotionen nicht als psychologischen
Zustand, sondern als kulturelle Praktiken/Attribute zu betrachten, die sich in
Rhetorik und in körperlichen Dispositionen materialisieren und als kinetische
Energie Macht über Individuen und Gruppen entfalten können (Ahmed, 2004).
Emotionen als „qualitative Wahrnehmungs- und Interpretationsfähigkeit für
Entscheidungen“ (Tröndle, 2006: S. 75) haben somit handlungstheoretisch eine
Überbrückungsfunktion zwischen unterschiedlichen Rationalitäten. Sie öffnen
damit auch Handlungsräume – und sind damit in ihrer Mobilisierungs- und Kol-
lektivierungsfähigkeit ambivalent. Der gegenwärtige Diskurs über „Post-Truth-
Politics“ (The Economist, 2016) nimmt auf eine politische Kultur Bezug, in der
Appelle an die emotionale Ebene (insbesondere das gezielte Schüren von Angst
vor Zuwanderung, vor wirtschaftlichem Abstieg etc.) bewusst die Ebene von
Fakten bzw. vernunftbasierten Argumenten verdrängen. Damit ist auch das
Ethos, der Charakter bzw. die Glaubwürdigkeit des Redenden in Zweifel zu zie-
hen. Emotionen, etwa Ängste, werden instrumentalisiert, um politische Macht zu
gewinnen. Andererseits führen emotionale und moralische Appelle auch dazu,
dass sich Gegenbewegungen formieren. Diese Dialektik lässt sich an den ge-
genwärtigen Narrativen zum Thema Flucht und Umgang mit Geflohenen nach-
vollziehen. Alle drei rhetorischen Überzeugungsmittel – Logos, Ethos und Pa-
thos – müssen aufgrund ihrer inhärenten mehrschichtigen Wirkungsweise in ei-
nem situativen Kontext und damit im Hinblick auf ihre Konsequenzen beurteilt
werden.
Wie wird Einigkeit erzielt? ist eine zentrale Frage der politischen Philosophie.
Wenn Cultural Governance als Prozess der Entscheidungsfindung aufgefasst
wird, suggeriert der Begriff „Prozess“ Linearität und Direktivität des Handelns:
vom gemeinsamen Problem zur gemeinsamen Entscheidung als Ergebnis bzw.
Problemlösung. Dies kann als Idealtyp der Entscheidungsfindung beschrieben
werden. Im kulturpolitischen Kontext beschreiben Jonathan Paquette und Eleo-
nora Redaelli vier Schritte der Entscheidungsfindung:
• „Emergence (or agenda-setting): the stage (or process) in which an arts or
cultural issue is propelled into the policy arena, opening up a forum for debate
on arts and cultural policy formulation or revision. The enabling forces of
agenda-setting are often the streams of politics, current/salient events and
available solutions.
• Formulation: The ideational and deliberative stage of the policy process. Ideas
or points of view are expressed and the policy’s aims and objectives are defi-
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293