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80 | Cultural Governance in Österreich
rer ethischen Komponente davon unterscheidet, ohne dass freilich alle Formen der Recht-
fertigung auf ein einziges Äquivalent (zum Beispiel auf den Glauben oder die Kraft) redu-
ziert werden sollen. [...] Insofern müssen wir die Unterscheidungen der beiden Definitio-
nen des Abgestimmten – die eine bezieht sich auf die Gerechtigkeit, die andere auf die
Richtigkeit – hinter uns lassen und mit denselben begrifflichen Werkzeugen Situationen
angehen, in denen Unstimmiges entweder als ungerecht oder als fehlerhaft bezeichnet
wird.“ (ibd., S. 66)
Wenn sich die Rechtfertigungsordnungen (Welten) und deren primären Hand-
lungslogiken vermischen, kommt es zu unordentlichen Verhältnissen und Kon-
flikten; die Situation ist nicht länger natürlich, sondern komplex und erfordert
eine Prüfung. Boltanski und Thévenot beschreiben zwei Entscheidungsalternati-
ven: Erstens können Konflikte dadurch entschieden werden (bzw. kann die
Komplexität dadurch reduziert werden), dass eine Welt der anderen dominant
gesetzt wird. Dies entspricht, angewendet auf mein Forschungsinteresse, etwa
den Entscheidungen von PolitikerInnen mit ihrer Rechtfertigung, ein demokrati-
sches Entscheidungsmandat zu haben. Hegemoniale Konzepte (möglicherweise
vertreten die PolitikerInnen in der Entscheidungssituation nicht das Gemein-
wohl, sondern Einzelinteressen von bestimmten Bevölkerungsgruppen) können
dadurch potentiell verschleiert werden, indem auf Prinzipien des Rechtsstaats
und der parlamentarischen Demokratie verwiesen wird (Zembylas, 2017a).
Zweitens können Konflikte dadurch gelöst werden, dass Kompromisse ge-
funden werden, durch die die beteiligten Welten miteinander arrangiert werden
können. Dafür bedarf es eines Verhandlungsraums, eines „space of deliberation“
(Boltanski, Thévenot, 2006: S. 351), entsprechend einer Arena, in der in sich ko-
härente Ordnungsprinzipien (als Argumente) so lange ausgetauscht werden, bis
ein Kompromiss als hybrides Arrangement entsteht. Boltanski und Thévenot
nennen als eine Kompromissformel etwa die „Arbeitnehmerrechte“, bei „denen
ein aus der staatsbürgerlichen Welt stammendes Objekt (Recht) mit Wesen aus
der industriellen Welt (Arbeitnehmer) in Verbindung gebracht wird“ (Boltanski,
Thévenot, 2014: S. 367). Um einen fragilen Kompromiss robuster zu machen,
kann er zu einer für das Gemeinwesen konstitutiven Form von Gemeinwohl, das
größer als die zum Kompromiss gebrachten Welten ist, in Beziehung gesetzt
werden (Boltanski, Thévenot, 2014: S. 368). Zudem geht die Anbahnung von
Kompromissen „leichter vonstatten, wenn man mehrdeutige Wesen oder Eigen-
schaften in sie integriert, und zwar in dem Sinne, dass sie, je nach Auffassung,
unterschiedlichen Welten angehören können“ (Boltanski, Thévenot, 2014:
S. 371). Das Prinzip der „Verantwortlichkeit“ beinhaltet etwa eine solche Mehr-
deutigkeit, indem es das häusliche Verhältnis des Vaters oder der Mutter zu den
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293