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Theoretische Situierung | 85
tes) in der Sozialen Welt der Kulturbetriebe handelt, ermöglicht somit einerseits
Verständigungsprozesse und Kompromisse zwischen unterschiedlichen Welten.
Andererseits werden Konflikte deutlich, wenn beispielsweise für die Teilnahme
am Angebot eines städtischen Kulturbetriebs Geld verlangt wird. Nach Boltanski
und Thévenot sind in diesem Fall folgende Welten beteiligt: Teilnahme – die
Würde der staatsbürgerlichen Welt; Angebot – Konstellation der Welt des Mark-
tes; Kultur – Kollektivperson als Subjekt der staatsbürgerlichen Welt; Betrieb –
Relation der industriellen Welt; Geld – Urteil der Welt des Marktes. In diesem
Fall umfasst etwa „die Identität des Nutzers [...] den Widerspruch zwischen dem
Bürger und dem Kunden“ (Boltanski, Thévenot, 2014: S. 369) und ermöglicht
somit den Kompromiss. Kritik kann sich beispielsweise auf dieses Arrangement
aus der Welt der Meinung richten, wenn dieser Kompromiss als Verschleierung
einer ungerechten Teilnahmemöglichkeit (nicht die bürgerlichen Rechte, sondern
die finanziellen Möglichkeiten sind entscheidend) angeprangert wird (Boltanski,
Thévenot, 2014: S. 301). Das Herstellen von Öffentlichkeit (die Offenlegung ei-
nes Geheimnisses als Investition der Welt der Meinung) ist also Voraussetzung
für die Kritik, die dann in ein Konkurrenzverhältnis (Welt des Marktes) zu ande-
ren Meinungen tritt (Habermas, Foessel, 2015).
Gerahmt werden Kritik (Urteilskraft) und Konflikte aus kulturwissenschaftlicher
Perspektive von „ethnoscapes“ nach Arjun Appadurai, die
„[...] das ethnische Projekt der Anderen als auch das Bewusstsein über solche Projekte be-
inhalten“ und die zuweilen erkennen, dass „ihre eigene Logik eine allgemeine Logik dar-
stellt, anhand derer andere ebenfalls wiedererkennbare, soziale, menschliche, situierte Le-
benswelten konstruieren.“ (Appadurai, 2015: S. 159)
Dafür sind kulturell-kognitive Kompetenzen auf Ebene des Individuums nötig,
um in kritischer Distanz zum eigenen ethnoscape, zur eigenen Sozialen Welt
oder zum Eigeninteresse (im Sinne der persönlichen Rechtfertigung) treten zu
können. Andere als Andere wahrnehmen, sich teilweise im Anderen wiederer-
kennen, Andere verstehen können, ist die Voraussetzung für Kommunikation.
Diese Grunddisposition, zwischen dem eigenen Kollektiv und dem anderen Kol-
lektiv Beziehungen herstellen zu können, heißt Spannungen und Konflikte aus-
zuhalten, die in einer Demokratie als Konzept der Freiheit und Sicherheit inhä-
rent sind und die es immer wieder neu zu verhandeln und auszuloten gilt. Die
Fragilität des Kompromisses ist Chance und Schwäche zugleich. „Die Demokra-
tie ist immer erst im Werden“, so die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Mi-
chelle Alexander (Alexander, 2016).
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293