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Lokale Situierung | 89
1980er Jahre entlang des Slogans „Kultur für alle“, der auf den Frankfurter Kul-
turdezernenten Hilmar Hoffmann zurückgeführt wird, verbunden wird (Wimmer,
2011: S. 144). Dieser programmatische Slogan verkennt teilweise die pluralisti-
schen Vorstellungen von Kultur ebenso wie die Vielfalt des Sozialen. Die Idee,
dass der Nationalstaat die Gesellschaft führen, die Wirtschaft regulieren und sei-
ne BürgerInnen auch auf ethisch-moralischer Ebene kultivieren soll, reicht je-
doch viel weiter in die Entstehung der Moderne zurück (McGuigan, 2004:
S. 36).
Ausgehend von Entwicklungen im anglo-amerikanischen Raum begann die
Vorstellung, dass der Staat der Träger kultureller Entwicklungen und öffentli-
cher Infrastruktur ist, spätestens in den 1990er Jahren auch auf dem europäi-
schen Kontinent und damit auch in Österreich zu erodieren. Die normativen An-
sprüche eines Kulturstaats ließen sich nicht nur wegen einer zunehmend wirt-
schaftsliberaleren Haltung gegenüber den immer vielfältigeren Produkten der
Kulturwirtschaft als wachsende Konkurrenz gegenüber einer staatlich geförder-
ten Kulturproduktion und -distribution immer weniger überzeugend begründen
(Wimmer, 2011: S. 145). Auch das generelle Verständnis, wofür der Staat eintre-
ten und wie er handeln sollte, veränderte sich. Staatliches Regieren und Verwal-
ten, ab den 1990er Jahren zunehmend als öffentliche Dienstleistung deklariert,
sollte sich an unternehmerischer Denklogik orientieren und somit strategischer,
effizienter, effektiver, bedarfsorientierter und kreativer werden (Osborne,
Gaebler, 1992). In der deutschen und österreichischen Verwaltungssprache hal-
ten Anglizismen und Ökonomizismen aus dem Jargon des New Public Manage-
ment bzw. der New Public Administration Einzug (Becker, 2011: S. 236). Diese
Konzepte institutionalisieren sich in Österreich zum Beispiel in Einrichtungen
wie der 1998 errichteten Bundestheater-Holding als „größtem Theaterkonzern
der Welt“ (Bundestheater Holding, 2017) mit über 2.500 Angestellten, zu 100 %
Eigentum der Republik Österreich. Die 1999 gegründete niederösterreichische
Kulturwirtschaft GesmbH, kurz NÖKU-Holding, in Besitz des Landes Niederös-
terreich entwickelte für sich den Leitsatz „Kultur braucht unternehmerisches
Denken, unternehmerisches Denken braucht Kultur“ (NÖKU Gruppe, 2017).
Hier wird deutlich, dass der staatlich-paternalistische Gestus der Demokratisie-
rung von Kultur bzw. Öffnung der staatlich geförderten kulturellen Infrastruktur
einem marktorientierten Kulturmanagement-Selbstverständnis gewichen ist.
Potentiell ist mit einer stärkeren Orientierung an der marktwirtschaftlichen Logik
auch eine stärkere Orientierung an den Erwartungen der KundInnen – im Kul-
turbereich als BesucherInnen oder als Publikum bezeichnet – verbunden. Diese
Form der Publikumsorientierung wird gemeinhin als Audiencing (Knava, 2009)
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293