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94 | Cultural Governance in Österreich
Im österreichischen Kontext wird das Verwaltungshandeln im kulturellen Be-
reich als besonders einflussreich interpretiert:
„Wenn Theodor W. Adorno gemeint hat: ‚Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung‘, dann
trifft das für die österreichische Situation in besonderer Weise zu.“ (Wimmer, 2011:
S. 199)
Diese Verwaltungslastigkeit ist möglicherweise ein generelles Merkmal der Poli-
tik in Österreich, die auch historisch bedingt ist. Der Kulturpolitikwissenschaft-
ler Michael Wimmer diagnostiziert weiter, dass Kulturpolitik gegenwärtig den
„Charakter eines pragmatischen Verwaltungshandelns“ annimmt, „das hinter den
Kulissen einer zunehmend pittoresken Boulevardisierung der öffentlichen Inte-
ressensartikulation auf Widerspruchsvermeidung und Bestandssicherung setzt“
(Wimmer, 2011: S. 378). Hinzu kommt eine laut Michael Wimmer unkritische
mediale Öffentlichkeit. Wimmer bezeichnet die BeamtInnen als „unmittelbare
VertreterInnen historischer Kontinuitäten“, der verbeamteten Exekutive komme
insbesondere im Förderungswesen eine „herausragende Rolle“ zu (Wimmer,
2011: S. 287). Nach Wimmer ist die Funktion der österreichischen Verwaltung
also weniger mit der Schaffung von Zugang zu kulturpolitischen Entschei-
dungswegen bzw. -verfahren als mit dem Hüten von Toren (gatekeeping) ver-
bunden.
Der Historiker Peter Becker beschreibt in seiner bereits zitierten Analyse der
Verwaltungssprache in Europa im 19. und 20. Jahrhundert diese Gatekeeper-
Funktion der Verwaltung für die Schaffung von Zugang zu Handlungsmöglich-
keiten für die Zivilgesellschaft folgendermaßen:
„Durch ihre Funktion als gatekeeper für den Zugang zu Handlungsmöglichkeiten und
Leistungen – Fahrerlaubnis, Baubewilligung, Sozialhilfe etc. – wirken Ämter und Behör-
den nachhaltig auf die soziale Identität und die Lebensentwürfe ein. Verwaltungsbehörden
und andere Institutionen (NGOs wie Caritas) spielen nicht zuletzt eine wesentliche Rolle
bei der Strukturierung von kultureller, sozialer und politischer Integration von sogenann-
ten Minderheiten, indem sie Räume für Interaktion, Entfaltung kultureller Identität und
Vermittlung von kulturellem Wissen bereitstellen.“ (Becker, 2011: S. 222)
In seiner Bürokratietheorie schildert Max Weber (1922) wesentliche Prinzipien
des Idealtypus einer rationalen Verwaltung. Viele dieser Merkmale und Regeln
finden sich in staatlichen Organisationen wieder (Wimmer, 2013: S. 202), unter
anderem im österreichischen Beamten-Dienstrechtsgesetz (Republik Österreich,
1979). Angewandt auf den Bereich der Kulturverwaltung bedeuten dies: Die Be-
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293