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Methodologische Situierung | 119
„Grundsätzlich gilt, dass Denkprozesse, Untersuchungen, Forschung niemals anhand von
einzelnen, isolierten Objekten stattfinden, sondern in der tatsächlichen Erfahrung immer in
ein kontextuelles Ganzes, eine ‚Situation‘, wie Dewey sagt, eingebettet sind. Zu dieser Si-
tuation zählen nicht zuletzt die Handelnden dieses Prozesses, die Menschen also, die eine
bestimmte Situation wahrnehmen und aufgrund von Ungewissheiten oder Zweifeln über-
haupt erst die Notwendigkeit einer intellektuellen Anstrengung erkennen. Im Gegensatz
zur traditionellen Logik, die die individuellen Interessen und Bedürfnisse ausgeblendet
und eine Art objektiven und zeitlosen Wissens angestrebt hatte, bezieht Deweys Logik –
darin Peirce folgend – die menschliche Komponente bei der Bildung von Überzeugungen
und Wissen mit ein.“ (Spree, 2003: Abs. 5)
Dewey bezieht sich auf das Dilemma der ‚alten Griechen‘: Wie können wir ler-
nen? Entweder wissen wir bereits, wonach wir suchen, oder wir wissen nichts.
„The possibility of hypothetical conclusions, of tentative results, is the fact which the
Greek dilemma overlooked. The perplexities of the situation suggest certain ways out. We
try these ways, and either push our way out, in which case we know we have found what
we were looking for, or the situation gets darker and more confused—in which case, we
know we are still ignorant. Tentative means trying out, feeling one’s way along provisio-
nally.“ (Dewey, 1916: S. 156)
Die „menschliche Komponente“ wird aus kritischer, feministischer und postko-
lonialer Perspektive weiterentwickelt. Entgegen universalistischer Geltungs- und
Machtansprüche betont etwa Donna Haraway die Situiertheit von Wissen (Hara-
way, 1988, 2008). Werturteile, die der Selbstreflexion nur unzureichend zugäng-
lich sind, und Grundsätze bzw. Axiome, die nicht hinterfragt werden, prägen un-
ser Handeln als ForscherInnen (bzw. unsere Forschungsstrategie) ebenso wie un-
sere Interpretation von Situationen. Menschen deuten die Welt bzw. Situationen,
handeln aufgrund unterschiedlicher Rationalitäten bzw. Werturteile, sprechen
retrospektiv darüber und die Forscherin interpretiert ihrerseits diese Diskurse
und (Selbst-)Deutungen. Das Wissen derjenigen, die als AkteurInnen in politi-
schen Entscheidungsprozessen handeln und in der Forschung als Zeugen bzw.
Auskunftspersonen über Interviews befragt werden, ist ebenso situiert wie das
der ForscherInnen. Wer und was kann/darf/will (nicht) berücksichtigt werden?
Dies ist ein Fragekomplex, der mit den situierten kognitiven, normativen und re-
gulativen Ressourcen, Grenzen und Möglichkeiten der AkteurInnen sowie mit
Machtstrukturen zusammenhängt.
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293