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124 | Cultural Governance in Österreich
über eigene Handlungsmacht verfügen. Ein Beispiel sind Smartphones, die auf-
grund ihrer Benutzungseigenschaften ihre NutzerInnen konfigurieren. Aktanten
können jedoch wie zuvor bereits angedeutet auch diskursive Konstruktionen
sein, die von AkteurInnen routinemäßig erzeugt werden (Clarke, 2012: S. 88).
Sie sind konstitutiv für die Situation, sie sind in Sprechakte eingebettet und wer-
den laufend umbenannt und umgedeutet. Bruno Latours Akteur-Netzwerk-
Theorie hat auch Boltanski und Thévenot beeinflusst, „insofern auch bei ihnen
der wechselseitigen Abhängigkeit zwischen menschlichen und nicht-menschli-
chen Wesen große Bedeutung zukommt“ (Diaz-Bone, Thévenot, 2010: Abs. 5).
Eine in einer kulturpolitischen Diskussion geplante „Sparmaßnahme“, wie sie in
Kapitel 6.2 analysiert wird, kann als Element einer sprachlichen Äußerung als
(intendierte) Handlung aufgefasst werden. Zugleich konditioniert die geplante
Sparmaßnahme, eine Kürzung der freien Subventionen, die vor allem Einzelper-
sonen und Kulturvereine betrifft, die Handlungen der AkteurInnen (die Proteste
der freien Szene ebenso wie das Abstimmungsverhalten der Gemeinderäte) –
was dafür spricht, sie als Aktant zu behandeln. Eine mögliche Unterscheidung ist
die zwischen materiellen Aktanten (etwa einem Smartphone) und immateriellen
Aktanten (etwa einer Sparmaßnahme). Es zeigt sich jedoch, dass Aktanten oft
soziomaterielle Hybride sind, die unterschiedliche Entwicklungen durchlaufen
und damit eine Historizität aufweisen – eine Sparmaßnahme kann zunächst dis-
kutiert werden und sich dann auf dem Konto von Kulturvereinen materialisieren.
Mit den von Boltanski und Thévenot herausgearbeiteten Rechtfertigungskatego-
rien verdeutlicht sich in der Folge (siehe Kapitel 5.5.2), dass die diskursiv er-
zeugten Aktanten durch ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Welten die Situation
konditionieren. Eine Sparmaßnahme als diskursive Konstruktion verweist dabei
auf die industrielle Welt der Methoden und Mittel (Plan, Maßnahme). Würde
dagegen eine Kürzungsentscheidung diskutiert, würden sich die politischen Ak-
teurInnen argumentativ in der staatsbürgerlichen Welt bewegen. Durch die ar-
gumentative Verlagerung in die industrielle Welt stehen weniger politische In-
halte und zu treffende Entscheidungen (Was soll getan werden?) im Vorder-
grund, vielmehr agieren StadträtInnen als ExpertInnen und streiten über ange-
messene Methoden (Wie soll die getroffene Entscheidung ausgeführt werden?).
Hybridität als „Zusammenschluss mit einem gewissen Mindestmaß an Stabi-
lität“ (Clarke, 2012: S. 105) und Heterogenität als „Verschiedenheit(en) der Per-
spektive, Positionalität“ – auch die Möglichkeit, die Perspektive und Position zu
wechseln – sind also Attribute, die die Elemente einer Situation charakterisieren
und Handlungen ermöglichen oder begrenzen. Luc Boltanski und Laurent
Thévenot sprechen von mehrdeutigen Wesen, die eine Anbahnung von Kom-
promissen leichter machen (Boltanski, Thévenot, 2014: S. 371). In einer Analyse
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293