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94 Die katholische Aufklärung
und Erzbischof Giovanni Pozzobonelli, als Verteidiger der Kirche
gegen die etatistische Aufklärung auf. Alle drei Erzbischöfe bekämpf-
ten das, was sie mittlerweile »Aufklärung« nannten, dabei behielten
Batthyány, Pozzobonelli und Migazzi ihre früheren Anliegen bei, vor
allem was die Erneuerung der Liturgie betraf, stellten sie jetzt aber
gegen die Vergötterung des Staats, in der sie die Aufklärung gipfeln
sahen.80 In seiner klassischen Arbeit über den Spätjansenismus in den
österreichischen Ländern hält Peter Hersche fest:
Die zum Vehikel des verordneten Glücks proklamierte Religion
wurde zum Herrschaftsinstrument, dessen ideologischen Charak-
ter die jansenistischen Reformkatholiken nicht erkannten. Wo die
Aufklärung auf religiöse Unterweisung über die Pflichten innerhalb
der bestehenden Ordnung hinauslief, schlug sie in ihr Gegenteil
um. Im Religionsdiener, im staatlichen Theologiebeamten wurde
die Re ligion entsakralisiert, zur angewandten Moral; das Staatskir-
chentum aber sakralisierte den Staat […].81
Angesichts der josephinischen Reformen wünschte sich Primas Józ-
sef Batthyány, ein Schlagwort der Wiener Broschürenliteratur auf-
greifend, einen »retour du vieux schlendrion«82 und beteuerte, er
könne keinen »cicco d’incenso«, kein Weihrauchkügelchen mehr für
den Kult Kaiser Josephs erübrigen.83 Im Königreich Ungarn wurde
die erprobte Rhetorik gegen die regalistischen »impii« und protes-
tantischen Frevler gegen die Feinde der Nation gewandt.84 Kleriker
wie Batthyány verbanden den alten katholischen Diskurs über die
Unverletzlichkeit der »rechtgläubigen Kirche« erfolgreich mit der
80 Géza Ballagi, A politikai irodalom Magyarországon 1825-ig [Die politische
Literatur in Ungarn bis zum Jahr 1825], Budapest 1888, 706; Joseph von
Batthyány, Unterthänige Vorstellung des Cardinals Bathyan, Primas von
Hungarn, an den Kaiser Josef II., Rom 1782, 5-7; Cardinals Migazzi gehor-
samste Vorstellung an Seine Röm. Kais. Königl. Majestät Joseph II. in Betreff
des Buchs Monachologia, Wien 1784. Zu Pozzobonelli Paola Vismara Chi-
appa, Tradition et innovation: l’Église de Milan à l’époque des Lumières,
in: Louis Châtellier (Hg.), Religions en transition dans la seconde moitié du
XVIIIe siècle, Oxford 2000, 25-36.
81 Hersche, Spätjansenismus, 404.
82 MOL P 1314, Nr. 60211. Vgl. [Franz Xaver Huber,] Herr Schlendrian, der
Richter nach den neuen Gesezen, 3. Aufl., Berlin 1787.
83 Briefentwurf Batthyánys, undatiert, unfoliierter Bestand, [1786?], EPL, Esz-
tergom, Archivum Saeculare, Batth II., PE NO. 253.
84 Bahlcke, Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie, 323-348.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513