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129Der
antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus
In Klosterbruck erscheinen die Neuschöpfer des ausgelöschten
Menschengeschlechts in mildem Licht: Hinter Deukalion und Pyrrha
entwirft ein Genius »den gebildeten Bürger in der Luft«, ein anderer
lenkt friedlich die Pflugschar, »die Altäre sind da«, um zu beweisen,
was der spätere Joseph II. schon in seinen Kronprinzenvorträgen ge-
lernt hatte, dass nämlich »kein Staat ohne Religion bestehen kann«.13
Im Zentrum des Klosterbrucker Freskos wird dieser mit »natürlicher
Vernunft« begabte, »gebildete Bürger« in einer Apotheose des lumen
naturale zum Astralleib, er verschmilzt mit der göttlichen Weisheit,
»um den verdienten Lohn zu empfangen«. In der Himmelsglorie, die
inmitten des Gewölbes prangt, wird der Bürger laut Korber »in den
Schooß der göttlichen Weisheit gebracht. Wohin die In der Malerey
fast verklärten Leiber deuten; welche nahe an der ewigen Weisheit in
den Strom ihres unendlichen Lichtes gleichsam eingeschmolzen, und
so der göttlichen Natur theilhaftig werden.«14
Die naturreligiöse Transfiguration des »unendlichen Lichtes«, also
die Verschmelzung von menschlicher und göttlicher Natur, war sech-
zehn Jahre später in Strahov nicht mehr in dieser Form darstellbar, das-
selbe gilt für die Urszene der Gesellschaftsgründung. Auch im Straho-
ver Fresko bleibt die Allegorie der Toleranz, der »Duldungsgeist«15
zentral und emblematisch, allerdings wird die in Klosterbruck ausge-
sparte Personifikation der Gottesfurcht wieder eingeführt. Während in
Klosterbruck noch die »Vernunft« den Willen trotz der ihn hinabzie-
henden Wollust zum »Ewigen Licht« emporführte, tut dies in Strahov
der durch Kreuz und Stola bestimmte »Genius der Religion«.16 Auch
Deukalion und Pyrrha sind in Strahov zu sehen, 1794 geht ihre Schöp-
fung aber schon als blutige Saat auf, hinter ihnen werden geharnischte
Männer gezeigt, die in Zweikämpfe verstrickt sind. Die friedliche
Selbstvervollkommnung des Menschen kraft natürlicher Vernunft –
Korber nennt Deukalion und Pyrrha »wohlthätige Menschen […],
die zu erst bürgerliche Gesellschaften zum Glücke des Menschenge-
schlechts errichteten«17 – weicht hier dem Bruderkrieg eines missra-
13 Möseneder, Franz Anton Maulbertsch, 130; Koláčková, Rušení klášterů, 199.
14 Möseneder, Franz Anton Maulbertsch, 206. Zur Konjunktur, die solche neu-
platonischen Formeln in Darstellungen des Erkenntnisprozesses und seiner
moralischen Implikationen in der katholischen Spätaufklärung hatten, vgl.
Blum, Natürliche Theologie und Religionsphilosophie im 17. und 18. Jahr-
hundert, 15.
15 Möseneder, Franz Anton Maulbertsch, 125.
16 Ebda., 126.
17 Ebda., 199.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513