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148 Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar
der klarsichtige und furchtlose Tod, begleitet vom Bereuen der Sün-
den vor einem barmherzigen Gott und den Tröstungen der Kirche;
der Bürger brachte, wie Lucien Goldmann notierte, sein Leben »auf
dieselbe Weise in Ordnung, wie er seine Buchhaltung und seine Erb-
angelegenheiten ins Reine« brachte.74 Die katholischen Breviers und
Erbauungsbüchlein der Epoche betonten das den bürgerlichen Inter-
aktionserwartungen entsprechende wechselseitige respektvolle Wohl-
verhalten (quod tibi hic alteri), folgerichtig prägte statt der angedrohten
Höllenstrafen die strafrechtliche Sanktion von Verstößen gegen diese
goldene Regel die Vergeltungslehre.75
So rückte das Haus in den Fokus, der Lokalaugenschein am Ort ge-
lebter Frömmigkeit lieferte aber keine rosige Bilanz: Als der Hofburg-
pfarrer Jakob Frint 1830 das Leben in den bürgerlichen Haushalten
musterte, beklagte er, dass sich nicht nur »aufgeklärt seyn wollende«
Familien kaum mehr mit religiösen Übungen abgaben, das Tischgebet
werde in den Städten »höchstens noch bey den gemeinen Classen« ge-
halten, vom Empfang der Buß- und Altarsakramente an Geburts- und
Namenstagen sei man ganz abgekommen.76 Der »häusliche Gottes-
dienst« wurde bei den Katholiken – für die tolerierten »Akatholiken«
blieb das Privatexerzitium ja die einzig zulässige Kultform! – kaum
noch gepflegt, diese mangelnde Einübung zu Hause führe dazu, dass
der öffentliche kirchliche Ritus den Kindern kein »heiliges Bedürf-
niß« mehr sei.77 Der Haushalt wird hier als »ganzes Haus« imaginiert,
als eine sentimentalsymbiotische Produktions- und Konsumeinheit,
an deren Spitze der mit Bann- und Züchtigungsrechten ausgestattete
Paterfamilias steht. Das Haus umfasst auch die Gesindefamilie, der die
Sorge des Hausvaters gilt.78 Das innere Gefüge des Hauses war aber
Frint zufolge schon längst zerfallen, Kinder würden zu den Unterhal-
tungen der Erwachsenen zugelassen, die Tisch- und Gebetsgemein-
schaft der blutsverwandten Familie mit dem Gesinde habe sich aufge-
74 Goldmann, Der christliche Bürger und die Aufklärung, 67.
75 Edith Saurer, Zur Säkularisierung des Sündenkonzepts. Die Genese des
strafrechtlichen Konzepts der »Erregung öffentlichen Ärgernisses,« in: Mi-
chael Weinzierl (Hg.), Individualisierung, Rationalisierung, Säkularisierung.
Neue Wege der Religionsgeschichte, Wien 1997, 200-219, 209.
76 Jakob Frint, Über einige dringende Verbesserungen bey dem Unterrichte
und bey der Erziehung der Jugend, Wien 1830, 52-53.
77 Ebda., 54.
78 Otto Brunner, Das »Ganze Haus« und die alteuropäische »Ökonomik«, in:
ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. Aufl., Göttingen
1968, 103-127; Valentin Groebner, Außer Haus. Otto Brunner und die »alt-
europäische Ökonomik«, in: GWU 46 (1995), 69-80.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513