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158 Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar
kirchliches Kriterium, das nicht im Allgemeinen Bürgerlichen Ge-
setzbuch begründet war, als Ehehindernis eingeführt.111 Nun war die
Einführung dieses Ehehindernisses ja offenkundig keine Bevorzugung
katholischer Gläubiger, viel eher lag hier eine staatliche Anerkennung
kirchlicher Jurisdiktionsgrundsätze ohne kirchliche Jurisdiktion vor.
So wurde ein aus dem kanonischen Recht geschöpftes Ehehindernis
(impedimentum matrimonii) verkündet, ohne der Kirche die Ausle-
gung und rechtspflegerische Administration ihres damit in die staat-
liche Rechtssphäre überführten Regelwerks zu gestatten.
Die Frage der Mischehen blieb ein Prüfstein für das Religionsrecht:
Seit dem josephinischen Ehepatent waren Mischehen von Katholiken
mit Angehörigen anderer christlicher Konfessionen gestattet, bei ihnen
sollte der katholische Pfarrer nicht als sakramentsspendender Trau-
geistlicher, sondern als Staatsnotar fungieren, der das Zustandekom-
men der Ehe als bürgerlichen Vertrag protokollierte.112 In den späten
1830er Jahren wurde die Mischehenfrage zum Politikum, besonders im
Zuge der Kölner Wirren: Damals ließ die preußische Regierung den
Kölner Erzbischof verhaften, der sich geweigert hatte, seinem Klerus
die Segnung gemischter Ehen zu gestatten.113 In den habsburgischen
Ländern wurde die strengere Einhaltung von Artikel VI des Toleranz-
patents urgiert, er sah eine Verpflichtungserklärung vor, der zufolge
ein Teil der Kinder aus Mischehen im katholischen Glauben zu er-
ziehen sei; sogenannte Ehereverse, also während der Heiratszeremo-
nie abzulegende Eide über die Kindererziehung, die den Brautleuten
von katholischen Priestern immer wieder illegal abverlangt wurden,
blieben jedoch verboten,114 Rüffel der Behörden für die Diözesan-
ämter, die solche Eheerschwernisse erlaubten, ließen nicht lange auf
111 Vgl. Kap. VI.1.
112 Bruno Primetshofer, Rechtsgeschichte der gemischten Ehen in Österreich
und Ungarn (1781-1841). Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen zwi-
schen Kirche und Staat, Wien 1967, 53-55.
113 Vgl. Scott Berg, Seeing Prussia through Austrian Eyes. The Kölner Ereignis
and its Significance for Church and State in Central Europe, in: CHR 101
(2015), 48-73.
114 Vgl. Scott Berg, Empire of Faith. Toleration, Confessionalism and the Po-
litics of Religious Pluralism in the Habsburg Empire, 1792-1867, Disser-
tation Louisiana State University, Baton Rouge, 2015, 154. Über Bischof
Zängerles Agitation gegen die Mischehen in der Steiermark Ronald E.
Coons, Reflections of a Josephinist; Metternich an die Staatskonferenz, Juli
1838, HHStA, KA, Stk 46 (1841)/558; Kübecks Gutachten v. 20.5.1839 in:
Maaß, Josephinismus, V, 540-548.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513