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276 Die Monarchie als Wirtschaftsraum
sich dies am Manufakturwesen, beim Holzfällen und -schwemmen
sowie bei der Erzförderung.63
Für den rechtlichen Rahmen dieses Industrieengagements waren
nun sowohl die Obrigkeitsrechte als auch die Ansprüche auf Leistun-
gen der Untertanen hoch relevant, das zeigt eine Fülle einschlägiger
Gerichtsverfahren. Hier barg die vertrackte Struktur semiprivater Herr-
schaftsausübung in Gutsherrschaft und Gerichtsbarkeit stellenweise
Vorteile für den Eigengutsbetrieb des adeligen Patrimonialherren.
Adelige Gutsbesitzer versuchten bürgerliche Konkurrenten regel-
mäßig daran zu hindern, ihre Untertanen als Lohnarbeiter zu beschäf-
tigen.64 Von Adelsgütern gestiftete Freihöfe, die mittlerweile in bür-
gerlichem Eigentum waren, aber der alten Polizeiobrigkeit der Stifter
unterstanden, wurden immer wieder unrechtmäßig in der Ausübung
der dem Hof verliehenen Rechte beschnitten.65 Vielfach ließen adelige
Richter bei schweren Polizeiübertretungen wie Maschinensabotage
und Arbeitsausständen, die örtlichen Mitbewerbern schadeten, Milde
walten: Delinquenten im Dienste der Konkurrenz, die aber unter die
Jurisdiktion der eigenen Obrigkeit fielen, kamen bei diesen Delikten
mit symbolischen Bußgeldzahlungen glimpflich davon.66 In der Was-
serwirtschaft bestanden Quellrechte, welche die Fließwassernutzung
beschränkten: Das ABGB kannte ein »exclusives Privatrecht« auf
Fließwasser, das nicht aus Zisternen, Brunnen und anderen Speicher-
behältnissen gewonnen wurde, dementsprechend konnte der Quell-
grundeigentümer die Nutzung seines Wassers für Spinnmaschinen,
Mühlen und die Schmiedehydraulik in der Nachbarschaft vereiteln.67
63 Milan Myška, Praca przymusowa w czeskich hutniczych manufakturach
żelaza w okresie od XIV do połowy XIX w. [Zwangsarbeit in böhmischen
Eisenhüttenmanufakturen vom 14. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts], in:
RDSG 38 (1977), 47-79, hier 67.
64 Ebda., 55-68.
65 Vgl. Franz Joseph Schopf, Die Branntweinerzeugung als eine Dominikalge-
rechtsame und als eine Industrialbeschäftigung, in: ACJ (1838) 1, 300-308.
66 Vgl. beispielsweise August Rothbauer, Die Anfänge der AG in der Vöslauer
Kammergarnfabrik, in: JLNö N. F. 35 (1963), 139-164.
67 Milan Myška, Šance a bariéry měšťanského podnikání v báňském a hutním
průmyslu za průmyslové revoluce [Chancen und Barrieren für das bürger-
liche Unternehmertum im Bergbau und Hüttenwesen der böhmischen Län-
der während der industriellen Revolution], in: VVM 36 (1984), 261-276; An-
ton Randa, Das österreichische Wasserrecht mit Bezug auf die ungarischen
und ausländischen Wassergesetzgebungen, 3. umg. u. vermehrte Aufl., Prag
1891, 14 u. 20, Fn. 31. Über die Zugehörigkeit des Wassers zum Grunde des
Quelleneigentümers vgl. Ignaz Wildner von Maithstein, Das österreichische
Fabrikenrecht mit einem Anhange über das Recht der Wasserleitungen, zum
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513