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281Sonnenfels’
Œuvre
reguläre Preisniveau sowie dessen Schwankungen und Störungen ab-
geleitet wurden. Diese aus der Kräfteäquivalenz der mechanistischen
Philosophie geschöpfte Vorstellung beruhte auf disponiblen Arbeits-
vorräten sowie auf einander entsprechenden Energieverlusten und
-zuwächsen im internationeln Handel: In diesem System verhielten
sich Vermehrung und Verminderung der Exportkräfte der Staaten zu-
einander exakt proportional.80 Als Geldpolitiker plädierte Sonnenfels
dafür, den Umlauf durch niedrigere Zinsen zu beschleunigen, was zu
Lohnanstieg, zum Ausbau der Konkurrenz und zur besseren Reich-
tumsverteilung führen würde.81 Diese Effekte figurieren bei Sonnen-
fels unter den Leitbegriffen »Herabsetzung der Interessen«, »Zusam-
menfluß« und »Ebenmaß des Verzehrs«. Sonnenfels befürwortete die
Niedrigzinspolitik, weil sie für eine Beschleunigung des Geldumlaufs
sorgen sollte, ignorierte aber die damit einhergehenden Gefahren,
nämlich Teuerung und Regression.
Den Begriff des Reichtums definierte Sonnenfels anders als die Phy-
siokraten wie Karl von Zinzendorf. Zinzendorf, einer der wichtigsten
Vermittler französischer ökonomischer Literatur in den habsburgi-
schen Ländern, hatte als Günstling des Fürsten Kaunitz und kaiserlicher
Kommerzienrat halb Europa mit Klappschreibtisch und portablem
Spinett bereist und als Gouverneur von Triest für den »freyen Ver-
kehr« geworben.82 Bei den Merkantilisten entstand Reichtum durch
Wertzuwachs, bei den Physiokraten durch Mehrwert: Der Wertzu-
wachs speiste sich aus der Produktionssteigerung, während sich der
Mehrwert allein aus der Bewirtschaftungs- und Ertragsintensivierung
des Bodens ergab, der ja den eigentlichen Wert hervorbrachte. Für
Sonnenfels war die Umformung des Rohstoffs entscheidend, in der
Physiokratie seine Gewinnung. Daraus ließen sich verschiedene Auf-
80 Louise Sommer, Die österreichischen Kameralisten in dogmengeschicht-
licher Darstellung, 2 Bde., Wien 1920-1925, I, 79-80.
81 [Joseph von Sonnenfels,] Schreiben an einen Freund in Klagenfurt über die
Herabsetzung der Interesse, Wien 1766, 2-3; Sonnenfels, Grundsätze, II,
493, 508; Sommer, Die österreichischen Kameralisten, II, 388, hier tritt, so
Sommer, »auch der schwache Punkt seiner theoretischen Begründung zutage,
demzufolge er dazu gelangt, in einem Atem reichlich angebotenes Kapital
vom Standpunkt der Zinsfußpolitik gutzuheißen und vom Standpunkt der
Preispolitik zu verwerfen, eine theoretische Kollision, die keineswegs dadurch
beseitigt wird, daß Sonnenfels sagt: ›Was der Zuwachs der Geldmasse dem
Preise zusetzt, wird durch die Niedrigkeit der Zinsen wieder vermindert.‹«
82 Vgl. Grete Klingenstein, Antonio Trampus, Eva Faber (Hg.), Europäische
Aufklärung zwischen Wien und Triest. Die Tagebücher des Gouverneurs
Karl Graf von Zinzendorf 1776-1782, 4 Bände, Wien 2009.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513