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295Sonnenfels
und die Nachwelt
dikator des Nationalwohlstands. Stattdessen definierte Zizius den
Nationalwohlstand als Totalbetrag der Überschüsse, die den bloßen
Aufwand der Bedarfsdeckung überstiegen: Die Berechnung dieses
»Nationalfonds« müsse demnach die wertsteigernde Arbeitskraft,
Gütervorräte, den Wert des urbaren Landes und die Vermögen an
Zahlungsmitteln einbeziehen. Für Zizius garantierte die Ausübung
der »natürlichen Triebe« Wachstum, dieses halte wiederum Tausch-
wert und Nutzwert in einem gedeihlichen Gleichgewicht, das gelte
sowohl für den innergesellschaftlichen Handelskreislauf als auch für
den zwischenstaatlichen Verkehr.129 Daraus leitet Zizius sein Plädo-
yer für die Aufhebung der Zollschranken innerhalb der Monarchie
und für den Freihandel nach außen hin ab, alle »in der politischen
Organisation liegenden Hindernisse der Gewerbsamkeit sollten auf-
gehoben werden«.130
Neben Zizius sticht unter den smithianisch geprägten Staatswis-
senschaftlern der Jahre um 1800 Wenzel Gustav Kopetz hervor.131
Kopetz’ Vorlesungen über Staatswirtschaft, Finanz- und Polizeiwis-
senschaft, die er von 1807 bis 1849 als Professor der politischen
Wissenschaften an der Prager Universität hielt, sind nicht im Druck
erschienen, Abschriften haben sich jedoch in böhmischen Archiven
erhalten.132 Kopetz schuf aus den Materialien der Kommission, die im
Vormärz ein Gewerbegesetzbuch für die Monarchie erarbeiten sollte,
seine immer noch unentbehrliche Allgemeine österreichische Gewerbs-
Gesetzkunde.133 Kopetz’ Vorlesungen über die Wertentstehung ver-
arbeiten Anregungen Smiths und des süddeutschen Ökonomen Karl
Heinrich Rau,134 aber auch, was den Reallohnsatz und das Differenzi-
alprinzip in der Errechnung der Bodenrente angeht, die Arbeiten Da-
vid Ricardos. Die Zuversicht, mit der Sonnenfels an das Bevölkerungs-
wachstum als Allheilmittel glaubte, war Kopetz und seinen Schülern
abhandengekommen. Besonders interessierte sich Kopetz für Ricardos
Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen dem Wachstum der
129 Johann Nepomuk Zizius, Oekonomisch-politische Betrachtungen über die
Handelsbilanz, Wien 1811, 17-27, 88-89, 113-114, 124-132.
130 [Anonym,] [Rez. v.] Johann Nepomuk Zizius, Oekonomisch-politische Be-
trachtungen über die Handelsbilanz, in: AöL, Intelligenzblatt, September
1812, 321-343, 333.
131 Über Kopetz (1782-1857), ÖBL 4 (1967), 115.
132 »Polizeiwissenschaft«, »Finanzwissenschaft«, ANM Praze, Praha, Pozůstalost
Albína Bráfa, karton 39, karton 43, karton 48, und Kopetz’ »Staatswirtschaft«,
LAP, Praha, karton 27/D/1, (4/B/2), Heft X.
133 Kopetz, Allgemeine östreichische Gewerbs-Gesetzkunde.
134 Vopelius, Die altliberalen Ökonomen, 43, 141.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513