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330 Die Monarchie als Wirtschaftsraum
die Fabrikationsindustrie der anderen Teile der Monarchie einen
reichen Absatz nach Ungarn finden, teils weil die – obschon nicht
bedeutenden – Zoll- und Dreißigstabgaben auf die österreichi-
schen Fabrikate wegfielen, teils weil der zunehmende Wohlstand
des ungarischen Grundbesitzes die Nachfrage bedeutend steigern
würde.260
Kübeck führte den Widerstand des ungarischen Adels also auf eine
Tauschwertabstraktion zurück: Der Verfassungsstreit habe einen Sitz
im Leben, er wurzle im Gefühl materieller Benachteiligung, das die
ungarischen Aristokraten hegten.261 Das Regierungsprogramm wurde
als »Freihandel« angepriesen und von der jungkonservativen Presse in
Ungarn eifrig beworben, die sich nun auch in Übereinstimmung mit
Metternichs und Kübecks Vorhaben die Aufhebung der Steuerfreiheit
des Adels auf die Fahnen heftete. Wenige Jahre zuvor hatte die Krone
die Reformbeschlüsse des Landtags ja noch abgelehnt, nun vertrat sie
die Bodenmobilisierung und das Ende der Steuerprivilegien. Weder
die Hofkammer noch die ungarischen Jungkonservativen fühlten sich
bemüßigt, ein Wort über die Voraussetzungen dieses Sinneswandels
zu verlieren. Das blieb der ungarischen Hofkanzlei vorbehalten, die
damals süßsäuerlich kommentierte: Das Hindernis, welches bisher der
Aufhebung der Zollgrenze im Wege gestanden war, die Steuerbefrei-
ung des Adels, sei »durch Fortschritte« untergraben worden, »an die
vor einem Jahrzehnt noch niemand gedacht hätte«.262 Diese »Fort-
schritte« waren das Verdienst eben jener Opposition in Ungarn, die
man durch das Kübeck’sche Wirtschaftspaket und durch Schmiergeld-
zahlungen bei den Komitatswahlen mundtot machen wollte.263
Die Hoffnungsträger der ungarischen Jungkonservativen, Aurél
und Emil Dessewffy stellten sich auf die Seite des »fortschrittlichen«
Freihandels, die Opposition, hieß es bei ihnen, hänge als »letzter Mo-
hikaner des Schutzzollsystems« an längst verjährten Lehren.264 Für die
260 Ebda., 131. Vgl. auch Karl Ludwig von Fiquelmont, Österreich und der
Zollverein [1842], Denkschrift, SOA Teplice, Fond Fiquelmont Ktn. 44
[paginiert], 13-14.
261 Miskolczy, Gesamtstaatsidee und Wirtschaftspolitik in Ungarn, 201.
262 Sieghart, Zolltrennung und Zolleinheit, 167.
263 Szilvia Czinege, Gróf Apponyi György közéleti pályája a reformkorban –
egy hivatalnok-politikus portré [Die öffentliche Laufbahn des Grafen Gy-
örgy Apponyi
– Porträt eines Politikers und Beamten], Dissertation Debre-
cen 2013, 95-96.
264 Vgl. A védrendszer utolsó mohikánja [Der letzte Mohikaner des Schutz-
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513